Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

schwänglich thust. Sonst sag' ich immer: Es thut's kein An-
derer. Theurer Freund! Du beschämst mich; und bürdest mir
zu viel auf! Ich werde nun wahrlich die sein wollen, die du
schilderst und liebst: und ich weiß schon gar nicht, wie mich
drehen, was zu erst, so recht Schönes machen, leisten, sein?
Aber sei ruhig! Natürlich werd' ich nur zu geschwind wieder.
Gestern Abend kam unser Freund noch: liebenswürdig, gesprä-
chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er spricht vor
Allen, und zu Allen grade das, was ihn beschäftigt. Nun
liest er jetzt die englischen Blätter -- und ich weiß nicht, mit
wem er sich auch darüber unterhalten muß, muß sage ich --
und ist durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der
Katholiken erfüllt. Sieht aber jetzt, alle Probleme des Le-
bens
, und des Staatsmanns, nur als solche: also, als un-
zulösende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend,
man könne ja doch nie wissen, welche Folgen eine Beschlie-
ßung haben würde; und diese Unberechenborkeit verstutzt, und
vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! -- Das dauert schon
eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich leise und abgebrochen: ge-
stern aber nahm ich sein Gesagtes vor. Er mußte Stich hal-
ten. Und die einfache redliche Behauptung siegte; daß eben,
weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar schienen, so
müssen die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die
Rede ist: und eine Gesammtheit sowohl, als ein einzelner
Mensch, müsse Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe
Welt schon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren
sagte er später, wieder problemspielend, wie es nicht ausge-
macht wäre, daß wir fortschritten: die Masse des Unglücks

ſchwänglich thuſt. Sonſt ſag’ ich immer: Es thut’s kein An-
derer. Theurer Freund! Du beſchämſt mich; und bürdeſt mir
zu viel auf! Ich werde nun wahrlich die ſein wollen, die du
ſchilderſt und liebſt: und ich weiß ſchon gar nicht, wie mich
drehen, was zu erſt, ſo recht Schönes machen, leiſten, ſein?
Aber ſei ruhig! Natürlich werd’ ich nur zu geſchwind wieder.
Geſtern Abend kam unſer Freund noch: liebenswürdig, geſprä-
chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er ſpricht vor
Allen, und zu Allen grade das, was ihn beſchäftigt. Nun
lieſt er jetzt die engliſchen Blätter — und ich weiß nicht, mit
wem er ſich auch darüber unterhalten muß, muß ſage ich —
und iſt durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der
Katholiken erfüllt. Sieht aber jetzt, alle Probleme des Le-
bens
, und des Staatsmanns, nur als ſolche: alſo, als un-
zulöſende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend,
man könne ja doch nie wiſſen, welche Folgen eine Beſchlie-
ßung haben würde; und dieſe Unberechenborkeit verſtutzt, und
vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! — Das dauert ſchon
eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich leiſe und abgebrochen: ge-
ſtern aber nahm ich ſein Geſagtes vor. Er mußte Stich hal-
ten. Und die einfache redliche Behauptung ſiegte; daß eben,
weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar ſchienen, ſo
müſſen die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die
Rede iſt: und eine Geſammtheit ſowohl, als ein einzelner
Menſch, müſſe Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe
Welt ſchon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren
ſagte er ſpäter, wieder problemſpielend, wie es nicht ausge-
macht wäre, daß wir fortſchritten: die Maſſe des Unglücks

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0372" n="364"/>
&#x017F;chwänglich thu&#x017F;t. Son&#x017F;t &#x017F;ag&#x2019; ich immer: Es thut&#x2019;s kein An-<lb/>
derer. Theurer Freund! Du be&#x017F;chäm&#x017F;t mich; und bürde&#x017F;t mir<lb/>
zu viel <hi rendition="#g">auf</hi>! Ich werde nun wahrlich die &#x017F;ein wollen, die du<lb/>
&#x017F;childer&#x017F;t und lieb&#x017F;t: und ich weiß &#x017F;chon gar nicht, wie mich<lb/>
drehen, was zu <hi rendition="#g">er&#x017F;t</hi>, &#x017F;o recht Schönes machen, lei&#x017F;ten, &#x017F;ein?<lb/>
Aber &#x017F;ei ruhig! Natürlich werd&#x2019; <hi rendition="#g">ich</hi> nur zu ge&#x017F;chwind wieder.<lb/>
Ge&#x017F;tern Abend kam un&#x017F;er Freund noch: liebenswürdig, ge&#x017F;prä-<lb/>
chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er &#x017F;pricht vor<lb/>
Allen, und zu Allen grade das, was ihn be&#x017F;chäftigt. Nun<lb/>
lie&#x017F;t er jetzt die engli&#x017F;chen Blätter &#x2014; und ich weiß nicht, mit<lb/>
wem er &#x017F;ich auch darüber unterhalten muß, <hi rendition="#g">muß</hi> &#x017F;age ich &#x2014;<lb/>
und i&#x017F;t durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der<lb/>
Katholiken erfüllt. Sieht aber <hi rendition="#g">jetzt</hi>, alle Probleme des <hi rendition="#g">Le-<lb/>
bens</hi>, und des Staatsmanns, nur als &#x017F;olche: al&#x017F;o, als un-<lb/>
zulö&#x017F;ende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend,<lb/>
man könne ja doch nie wi&#x017F;&#x017F;en, welche Folgen eine Be&#x017F;chlie-<lb/>
ßung haben würde; und die&#x017F;e Unberechenborkeit ver&#x017F;tutzt, und<lb/>
vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! &#x2014; Das dauert &#x017F;chon<lb/>
eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich lei&#x017F;e und abgebrochen: ge-<lb/>
&#x017F;tern aber nahm ich &#x017F;ein Ge&#x017F;agtes <hi rendition="#g">vor</hi>. Er mußte Stich hal-<lb/>
ten. Und die einfache redliche Behauptung &#x017F;iegte; daß eben,<lb/>
weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar &#x017F;chienen, &#x017F;o<lb/>&#x017F;&#x017F;en die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die<lb/>
Rede i&#x017F;t: und eine Ge&#x017F;ammtheit &#x017F;owohl, als ein einzelner<lb/>
Men&#x017F;ch, mü&#x017F;&#x017F;e Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe<lb/>
Welt &#x017F;chon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren<lb/>
&#x017F;agte er &#x017F;päter, wieder problem&#x017F;pielend, wie es nicht ausge-<lb/>
macht wäre, daß wir fort&#x017F;chritten: die Ma&#x017F;&#x017F;e des Unglücks<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0372] ſchwänglich thuſt. Sonſt ſag’ ich immer: Es thut’s kein An- derer. Theurer Freund! Du beſchämſt mich; und bürdeſt mir zu viel auf! Ich werde nun wahrlich die ſein wollen, die du ſchilderſt und liebſt: und ich weiß ſchon gar nicht, wie mich drehen, was zu erſt, ſo recht Schönes machen, leiſten, ſein? Aber ſei ruhig! Natürlich werd’ ich nur zu geſchwind wieder. Geſtern Abend kam unſer Freund noch: liebenswürdig, geſprä- chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er ſpricht vor Allen, und zu Allen grade das, was ihn beſchäftigt. Nun lieſt er jetzt die engliſchen Blätter — und ich weiß nicht, mit wem er ſich auch darüber unterhalten muß, muß ſage ich — und iſt durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der Katholiken erfüllt. Sieht aber jetzt, alle Probleme des Le- bens, und des Staatsmanns, nur als ſolche: alſo, als un- zulöſende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend, man könne ja doch nie wiſſen, welche Folgen eine Beſchlie- ßung haben würde; und dieſe Unberechenborkeit verſtutzt, und vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! — Das dauert ſchon eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich leiſe und abgebrochen: ge- ſtern aber nahm ich ſein Geſagtes vor. Er mußte Stich hal- ten. Und die einfache redliche Behauptung ſiegte; daß eben, weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar ſchienen, ſo müſſen die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die Rede iſt: und eine Geſammtheit ſowohl, als ein einzelner Menſch, müſſe Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe Welt ſchon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren ſagte er ſpäter, wieder problemſpielend, wie es nicht ausge- macht wäre, daß wir fortſchritten: die Maſſe des Unglücks

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/372
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/372>, abgerufen am 22.12.2024.