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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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und so ihren Zusammenhang, ihren Sinn, ihre Melodie, die
sie im Ganzen bilden, verstehn, empfinden. Verstand doch ich
Ihren
Aufkündigungsbrief; der sich auf Nichtverstehn berief.
Weiß ich doch; Sie wollen, Sie verlangen, auf die höchsten
Fragen, die der Menschengeist anstellen kann, welche die be-
drückte Seele machen muß, eine blanke baare Antwort; stem-
pelbedrückt, gültig, und deutlich in jedem Reich: und wollen
nichts annehmen, was diese blanke baare Auszahlung nicht
ist; weil Sie Gold, Edelstein, Schein, Licht, Schimmer, Glanz,
und alles was sie nicht ist, in reichster, längst verworfener
Fülle selbst haben. Und ich, wiederhole nochmals; hier beim
großen Defizit, in welchem wir uns finden, und haben: Unsre
Existenz ist noch keine absolute; aber der Schimmer, das
Flimmerchen, das wir davon haben, daß wir sind, ist mir
Bürge für undenkbar Hohes, Großes. Wie meine Frage,
Bürge für Antwort; wie meine Qual, Bürge für die Existenz
der Wonne. Und sind Menschen bis zu allen Fragen, bis zu
diesen Antworten gekommen: so sind sie Freunde in der
Noth. Noth gebe ich Ihnen zu: vielleicht müssen Sie mei-
ner
Ansicht noch welche zu geben: und ich bin trauriger, als
Ihr Dichter. Ernster. Pauvre humanite! ist das Beste, was
Madame de Stael sagte. Ich liebe die Kreaturen: d. h. die
leidenfähigen Wesen. Das wünsche ich Ihnen auch. Ich habe
auch in meinem letzten Brief nicht geprahlt; und nicht
anderes, als hier, gesagt; gesagt, daß ich in der Seele eine
Art von physischem Wohlgefühl hätte; und zu schwach bin,
mir immer die schrecklichen Möglichkeiten zu denken. Ich
schwimme auf weich- und hartem Element des Tages; das

III. 23

und ſo ihren Zuſammenhang, ihren Sinn, ihre Melodie, die
ſie im Ganzen bilden, verſtehn, empfinden. Verſtand doch ich
Ihren
Aufkündigungsbrief; der ſich auf Nichtverſtehn berief.
Weiß ich doch; Sie wollen, Sie verlangen, auf die höchſten
Fragen, die der Menſchengeiſt anſtellen kann, welche die be-
drückte Seele machen muß, eine blanke baare Antwort; ſtem-
pelbedrückt, gültig, und deutlich in jedem Reich: und wollen
nichts annehmen, was dieſe blanke baare Auszahlung nicht
iſt; weil Sie Gold, Edelſtein, Schein, Licht, Schimmer, Glanz,
und alles was ſie nicht iſt, in reichſter, längſt verworfener
Fülle ſelbſt haben. Und ich, wiederhole nochmals; hier beim
großen Defizit, in welchem wir uns finden, und haben: Unſre
Exiſtenz iſt noch keine abſolute; aber der Schimmer, das
Flimmerchen, das wir davon haben, daß wir ſind, iſt mir
Bürge für undenkbar Hohes, Großes. Wie meine Frage,
Bürge für Antwort; wie meine Qual, Bürge für die Exiſtenz
der Wonne. Und ſind Menſchen bis zu allen Fragen, bis zu
dieſen Antworten gekommen: ſo ſind ſie Freunde in der
Noth. Noth gebe ich Ihnen zu: vielleicht müſſen Sie mei-
ner
Anſicht noch welche zu geben: und ich bin trauriger, als
Ihr Dichter. Ernſter. Pauvre humanité! iſt das Beſte, was
Madame de Staël ſagte. Ich liebe die Kreaturen: d. h. die
leidenfähigen Weſen. Das wünſche ich Ihnen auch. Ich habe
auch in meinem letzten Brief nicht geprahlt; und nicht
anderes, als hier, geſagt; geſagt, daß ich in der Seele eine
Art von phyſiſchem Wohlgefühl hätte; und zu ſchwach bin,
mir immer die ſchrecklichen Möglichkeiten zu denken. Ich
ſchwimme auf weich- und hartem Element des Tages; das

III. 23
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[353/0361] und ſo ihren Zuſammenhang, ihren Sinn, ihre Melodie, die ſie im Ganzen bilden, verſtehn, empfinden. Verſtand doch ich Ihren Aufkündigungsbrief; der ſich auf Nichtverſtehn berief. Weiß ich doch; Sie wollen, Sie verlangen, auf die höchſten Fragen, die der Menſchengeiſt anſtellen kann, welche die be- drückte Seele machen muß, eine blanke baare Antwort; ſtem- pelbedrückt, gültig, und deutlich in jedem Reich: und wollen nichts annehmen, was dieſe blanke baare Auszahlung nicht iſt; weil Sie Gold, Edelſtein, Schein, Licht, Schimmer, Glanz, und alles was ſie nicht iſt, in reichſter, längſt verworfener Fülle ſelbſt haben. Und ich, wiederhole nochmals; hier beim großen Defizit, in welchem wir uns finden, und haben: Unſre Exiſtenz iſt noch keine abſolute; aber der Schimmer, das Flimmerchen, das wir davon haben, daß wir ſind, iſt mir Bürge für undenkbar Hohes, Großes. Wie meine Frage, Bürge für Antwort; wie meine Qual, Bürge für die Exiſtenz der Wonne. Und ſind Menſchen bis zu allen Fragen, bis zu dieſen Antworten gekommen: ſo ſind ſie Freunde in der Noth. Noth gebe ich Ihnen zu: vielleicht müſſen Sie mei- ner Anſicht noch welche zu geben: und ich bin trauriger, als Ihr Dichter. Ernſter. Pauvre humanité! iſt das Beſte, was Madame de Staël ſagte. Ich liebe die Kreaturen: d. h. die leidenfähigen Weſen. Das wünſche ich Ihnen auch. Ich habe auch in meinem letzten Brief nicht geprahlt; und nicht anderes, als hier, geſagt; geſagt, daß ich in der Seele eine Art von phyſiſchem Wohlgefühl hätte; und zu ſchwach bin, mir immer die ſchrecklichen Möglichkeiten zu denken. Ich ſchwimme auf weich- und hartem Element des Tages; das III. 23

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/361>, abgerufen am 22.12.2024.