Gefühl des Daseins trägt mich meist: und linde, wie ein An- drer, wie jeder Andre! Gern sähe ich sie. Aber auch das ist ein Bild, welches hinter mir im Tageslicht meiner Jugend steht. Nach hinten erreicht man nichts. Selten sieht man sich nur um; und es gehört Fähigkeit dazu, es zu können, die ei- nem vergeht. Eins weiß ich: vorwärts brauche ich die Augen nicht aufzuschlagen: es begegnet mir kein Zweiter; und flöge ich als Hebe durch die Welt. Sie tragen eine in sich: die keine Maske des Alters verstecken kann: die ungetrübte blu- menreine Wahrhaftigkeit; die ewig Naivetät gebiert; zum Lächlen, und zum Lieben. So auch ist eigentlich Ihr letzter Brief an mich; so sehe ich ihn eigentlich, so sieht ihn mein Geisteslicht, wenn der Dunst fällt, wonach das Herz immer schmachtet. Sie würden erstaunen, wenn Sie zwei Tage mit mir lebten: bloß, wie weit, und reif ich in allen Kleinigkeiten bin; und sich sehr behaglich fühlen. Wenn es nicht ganz thö- richt wäre, schriebe ich Ihnen schon jetzt, was ich den Som- mer zu thun gedenke. Sie reisen aber keinen Schritt meint- wegen. -- Sein Sie gesund! Das ist das Nöthigste hier. Ich fühle es; weil ich es selten bin. Wetter, Nerven. Das In- strument litt zu viel. Heute geht's mir wieder menschlich. Ihr Brief an Varnh. war ein schöner elan. Dessen freute ich mich für Sie mit. Also Sie speisen noch manchmal bei Frau von Eskeles? und der arme Adam Müller wohnt da, drei Treppen hoch! nach dem Götterquartier in Leipzig. Könnten Sie ihn wohl grüßen? Ich will ihm schon längst schreiben; und werde es auch thun. Friedrich Schlegel gefällt der Ge- sellschaft in Dresden; erzählten mir Gesandtschaftsdamen hier,
Gefühl des Daſeins trägt mich meiſt: und linde, wie ein An- drer, wie jeder Andre! Gern ſähe ich ſie. Aber auch das iſt ein Bild, welches hinter mir im Tageslicht meiner Jugend ſteht. Nach hinten erreicht man nichts. Selten ſieht man ſich nur um; und es gehört Fähigkeit dazu, es zu können, die ei- nem vergeht. Eins weiß ich: vorwärts brauche ich die Augen nicht aufzuſchlagen: es begegnet mir kein Zweiter; und flöge ich als Hebe durch die Welt. Sie tragen eine in ſich: die keine Maske des Alters verſtecken kann: die ungetrübte blu- menreine Wahrhaftigkeit; die ewig Naivetät gebiert; zum Lächlen, und zum Lieben. So auch iſt eigentlich Ihr letzter Brief an mich; ſo ſehe ich ihn eigentlich, ſo ſieht ihn mein Geiſteslicht, wenn der Dunſt fällt, wonach das Herz immer ſchmachtet. Sie würden erſtaunen, wenn Sie zwei Tage mit mir lebten: bloß, wie weit, und reif ich in allen Kleinigkeiten bin; und ſich ſehr behaglich fühlen. Wenn es nicht ganz thö- richt wäre, ſchriebe ich Ihnen ſchon jetzt, was ich den Som- mer zu thun gedenke. Sie reiſen aber keinen Schritt meint- wegen. — Sein Sie geſund! Das iſt das Nöthigſte hier. Ich fühle es; weil ich es ſelten bin. Wetter, Nerven. Das In- ſtrument litt zu viel. Heute geht’s mir wieder menſchlich. Ihr Brief an Varnh. war ein ſchöner élan. Deſſen freute ich mich für Sie mit. Alſo Sie ſpeiſen noch manchmal bei Frau von Eskeles? und der arme Adam Müller wohnt da, drei Treppen hoch! nach dem Götterquartier in Leipzig. Könnten Sie ihn wohl grüßen? Ich will ihm ſchon längſt ſchreiben; und werde es auch thun. Friedrich Schlegel gefällt der Ge- ſellſchaft in Dresden; erzählten mir Geſandtſchaftsdamen hier,
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Gefühl des Daſeins trägt mich meiſt: und linde, wie ein An-
drer, wie jeder Andre! Gern ſähe ich ſie. Aber auch das iſt
ein Bild, welches hinter mir im Tageslicht meiner Jugend
ſteht. Nach hinten erreicht man nichts. Selten ſieht man ſich
nur um; und es gehört Fähigkeit dazu, es zu können, die ei-
nem vergeht. Eins weiß ich: vorwärts brauche ich die Augen
nicht aufzuſchlagen: es begegnet mir kein Zweiter; und flöge
ich als Hebe durch die Welt. Sie tragen eine in ſich: die
keine Maske des Alters verſtecken kann: die ungetrübte blu-
menreine Wahrhaftigkeit; die ewig Naivetät gebiert; zum
Lächlen, und zum Lieben. So auch iſt eigentlich Ihr letzter
Brief an mich; ſo ſehe ich ihn eigentlich, ſo ſieht ihn mein
Geiſteslicht, wenn der Dunſt fällt, wonach das Herz immer
ſchmachtet. Sie würden erſtaunen, wenn Sie zwei Tage mit
mir lebten: bloß, wie weit, und reif ich in allen Kleinigkeiten
bin; und ſich ſehr behaglich fühlen. Wenn es nicht ganz thö-
richt wäre, ſchriebe ich Ihnen ſchon jetzt, was ich den Som-
mer zu thun gedenke. Sie reiſen aber keinen Schritt meint-
wegen. — Sein Sie geſund! Das iſt das Nöthigſte hier. Ich
fühle es; weil ich es ſelten bin. Wetter, Nerven. Das In-
ſtrument litt zu viel. Heute geht’s mir wieder menſchlich.
Ihr Brief an Varnh. war ein ſchöner élan. Deſſen freute ich
mich für Sie mit. Alſo Sie ſpeiſen noch manchmal bei Frau
von Eskeles? und der arme Adam Müller wohnt da, drei
Treppen hoch! nach dem Götterquartier in Leipzig. Könnten
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/362>, abgerufen am 22.12.2024.
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