freund! Geh nur nach Weimar; und versäume das nicht, wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Kostet mich viel- leicht eine halbe Reise nach Wien: halb mache ich sie wegen der italiänischen Oper, wenn eine gute Truppe dort ist. Nous verrons: je ne m'engage a rien; rien ist mein Wahlspruch. Du siehst, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein Treiben! -- Willisen sagte vorgestern -- es entzückte mich -- "Sie sind aber jetzt sehr wohl; unbeschrieen!" Unbeschrieen. Das ist als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter setzen. Ist das Herrschsucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach Liebesbeweisen; die aus mir immer herausströmen. -- Nun werd' ich wohl keinen Brief mehr auf die Post schicken; aber doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, sonst eilst du ohne Weimar nach Hause. Ich freue mich wie du: aber du sollst alles sehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem Sinn. -- Sollst alles schön finden. Adieu! Grüße in Weimar.
September, 1827.
Durch Liebe erfährt man nur, daß man selbst existirt, sonst wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir machen unser Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver- gangenheit betrachten, wenn auch in der nächsten; als Ganzes se- hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.
Der größte Philosoph kann nicht anders antworten, als der geringste nicht tolle Mensch: die Fragen richtig zu stellen, auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu- räumen, keine falsche Frage beantworten lassen zu wollen, ist
freund! Geh nur nach Weimar; und verſäume das nicht, wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Koſtet mich viel- leicht eine halbe Reiſe nach Wien: halb mache ich ſie wegen der italiäniſchen Oper, wenn eine gute Truppe dort iſt. Nous verrons: je ne m’engage à rien; rien iſt mein Wahlſpruch. Du ſiehſt, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein Treiben! — Williſen ſagte vorgeſtern — es entzückte mich — „Sie ſind aber jetzt ſehr wohl; unbeſchrieen!“ Unbeſchrieen. Das iſt als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter ſetzen. Iſt das Herrſchſucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach Liebesbeweiſen; die aus mir immer herausſtrömen. — Nun werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Poſt ſchicken; aber doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, ſonſt eilſt du ohne Weimar nach Hauſe. Ich freue mich wie du: aber du ſollſt alles ſehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem Sinn. — Sollſt alles ſchön finden. Adieu! Grüße in Weimar.
September, 1827.
Durch Liebe erfährt man nur, daß man ſelbſt exiſtirt, ſonſt wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir machen unſer Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver- gangenheit betrachten, wenn auch in der nächſten; als Ganzes ſe- hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.
Der größte Philoſoph kann nicht anders antworten, als der geringſte nicht tolle Menſch: die Fragen richtig zu ſtellen, auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu- räumen, keine falſche Frage beantworten laſſen zu wollen, iſt
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freund! Geh nur nach Weimar; und verſäume das nicht,
wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Koſtet mich viel-
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der italiäniſchen Oper, wenn eine gute Truppe dort iſt. Nous
verrons: je ne m’engage à rien; rien iſt mein Wahlſpruch.
Du ſiehſt, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein
Treiben! — Williſen ſagte vorgeſtern — es entzückte mich —
„Sie ſind aber jetzt ſehr wohl; unbeſchrieen!“ Unbeſchrieen.
Das iſt als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter
ſetzen. Iſt das Herrſchſucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach
Liebesbeweiſen; die aus mir immer herausſtrömen. — Nun
werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Poſt ſchicken; aber
doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, ſonſt eilſt du ohne
Weimar nach Hauſe. Ich freue mich wie du: aber du ſollſt
alles ſehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem
Sinn. — Sollſt alles ſchön finden. Adieu! Grüße in Weimar.
September, 1827.
Durch Liebe erfährt man nur, daß man ſelbſt exiſtirt,
ſonſt wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir
machen unſer Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver-
gangenheit betrachten, wenn auch in der nächſten; als Ganzes ſe-
hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.
Der größte Philoſoph kann nicht anders antworten, als
der geringſte nicht tolle Menſch: die Fragen richtig zu ſtellen,
auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu-
räumen, keine falſche Frage beantworten laſſen zu wollen, iſt
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/317>, abgerufen am 25.11.2024.
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