-- Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine recht natürliche, gutgesinnte, zu allem was sie soll gefaßte Frau: die ihr ganzes Schicksal, und die Aufgabe, die sie von ihm erhalten, versteht. Es giebt immer mehr Menschen, als wir nur irgend vermuthen; und bei dem Besten, was wir ge- wöhnlich voraussetzen: es ist gewiß; wir sind Alle göttlich- adlichen Ursprungs, und haben viel vom Vater. Das sollen wir uns bei guten, und schlechten Gelegenheiten immer von neuem einschärfen. Das thu' ich hier, in deiner Gegenwart. --
Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr in der Küche: ihr Belvedere. "Kommt Onkel heute?" Nein. "Warum nicht? Morgen?" Den andern Montag -- tout par hasard -- "Wann ist anderer Montag?" Ich rechnete ihr die Tage vor. "Ach!" traurig und verdrießlich. Das sagt sie seit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da bist. Sie wollte beständig essen. Dann holte die Amme sie ab.
Als ich vorgestern zu Hause kam, saß Willisen todtmüde bei mir -- zur großen Freud! -- und trank schon Thee, -- wir waren harmlos, vertrauensvoll; still wie Freunde. Gestern Morgen ritt er wieder zum Lager. -- Wie herrlich ist die Ge- schichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unser Präsentmensch (Gottesgabe, Dieudonne) in Weimar. Er ist ein Fürst. Er hat Orden zu vergeben; und in Klassen. Recht so! Bravo! Was du aber alles erspähst, berichtest! Herzens-
An Varnhagen, in Nürnberg.
Berlin, den 18. September 1827.
— Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine recht natürliche, gutgeſinnte, zu allem was ſie ſoll gefaßte Frau: die ihr ganzes Schickſal, und die Aufgabe, die ſie von ihm erhalten, verſteht. Es giebt immer mehr Menſchen, als wir nur irgend vermuthen; und bei dem Beſten, was wir ge- wöhnlich vorausſetzen: es iſt gewiß; wir ſind Alle göttlich- adlichen Urſprungs, und haben viel vom Vater. Das ſollen wir uns bei guten, und ſchlechten Gelegenheiten immer von neuem einſchärfen. Das thu’ ich hier, in deiner Gegenwart. —
Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr in der Küche: ihr Belvedere. „Kommt Onkel heute?“ Nein. „Warum nicht? Morgen?“ Den andern Montag — tout par hasard — „Wann iſt anderer Montag?“ Ich rechnete ihr die Tage vor. „Ach!“ traurig und verdrießlich. Das ſagt ſie ſeit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da biſt. Sie wollte beſtändig eſſen. Dann holte die Amme ſie ab.
Als ich vorgeſtern zu Hauſe kam, ſaß Williſen todtmüde bei mir — zur großen Freud! — und trank ſchon Thee, — wir waren harmlos, vertrauensvoll; ſtill wie Freunde. Geſtern Morgen ritt er wieder zum Lager. — Wie herrlich iſt die Ge- ſchichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unſer Präſentmenſch (Gottesgabe, Dieudonné) in Weimar. Er iſt ein Fürſt. Er hat Orden zu vergeben; und in Klaſſen. Recht ſo! Bravo! Was du aber alles erſpähſt, berichteſt! Herzens-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0316"n="308"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Nürnberg.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 18. September 1827.</hi></dateline><lb/><p>— Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine<lb/>
recht natürliche, gutgeſinnte, zu allem was ſie ſoll gefaßte<lb/>
Frau: die ihr ganzes Schickſal, und die Aufgabe, die ſie von<lb/>
ihm erhalten, verſteht. Es giebt immer mehr Menſchen, als<lb/>
wir nur irgend vermuthen; und bei dem Beſten, was wir <hirendition="#g">ge-<lb/>
wöhnlich</hi> vorausſetzen: es iſt gewiß; wir ſind Alle göttlich-<lb/>
adlichen Urſprungs, und haben viel vom Vater. Das ſollen<lb/>
wir uns bei guten, und ſchlechten Gelegenheiten immer von<lb/>
neuem einſchärfen. Das thu’ ich hier, in deiner Gegenwart. —</p><lb/><p>Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr<lb/>
in der Küche: ihr Belvedere. „Kommt Onkel <hirendition="#g">heute</hi>?“ Nein.<lb/>„Warum nicht? Morgen?“ Den andern Montag —<hirendition="#aq">tout<lb/>
par hasard</hi>—„Wann iſt anderer Montag?“ Ich rechnete<lb/>
ihr die Tage vor. „Ach!“ traurig und verdrießlich. Das<lb/>ſagt ſie ſeit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da biſt.<lb/>
Sie wollte <hirendition="#g">beſtändig</hi> eſſen. Dann holte die Amme ſie ab.</p><lb/><p>Als ich vorgeſtern zu Hauſe kam, ſaß Williſen todtmüde<lb/>
bei mir — zur großen Freud! — und trank ſchon Thee, —<lb/>
wir waren harmlos, vertrauensvoll; ſtill wie Freunde. Geſtern<lb/>
Morgen ritt er wieder zum Lager. — Wie herrlich iſt die Ge-<lb/>ſchichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unſer<lb/>
Präſentmenſch (Gottesgabe, <hirendition="#aq">Dieudonné</hi>) in Weimar. Er <hirendition="#g">iſt</hi><lb/>
ein Fürſt. Er hat Orden zu vergeben; und in Klaſſen. Recht<lb/>ſo! Bravo! Was du aber alles erſpähſt, berichteſt! Herzens-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[308/0316]
An Varnhagen, in Nürnberg.
Berlin, den 18. September 1827.
— Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine
recht natürliche, gutgeſinnte, zu allem was ſie ſoll gefaßte
Frau: die ihr ganzes Schickſal, und die Aufgabe, die ſie von
ihm erhalten, verſteht. Es giebt immer mehr Menſchen, als
wir nur irgend vermuthen; und bei dem Beſten, was wir ge-
wöhnlich vorausſetzen: es iſt gewiß; wir ſind Alle göttlich-
adlichen Urſprungs, und haben viel vom Vater. Das ſollen
wir uns bei guten, und ſchlechten Gelegenheiten immer von
neuem einſchärfen. Das thu’ ich hier, in deiner Gegenwart. —
Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr
in der Küche: ihr Belvedere. „Kommt Onkel heute?“ Nein.
„Warum nicht? Morgen?“ Den andern Montag — tout
par hasard — „Wann iſt anderer Montag?“ Ich rechnete
ihr die Tage vor. „Ach!“ traurig und verdrießlich. Das
ſagt ſie ſeit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da biſt.
Sie wollte beſtändig eſſen. Dann holte die Amme ſie ab.
Als ich vorgeſtern zu Hauſe kam, ſaß Williſen todtmüde
bei mir — zur großen Freud! — und trank ſchon Thee, —
wir waren harmlos, vertrauensvoll; ſtill wie Freunde. Geſtern
Morgen ritt er wieder zum Lager. — Wie herrlich iſt die Ge-
ſchichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unſer
Präſentmenſch (Gottesgabe, Dieudonné) in Weimar. Er iſt
ein Fürſt. Er hat Orden zu vergeben; und in Klaſſen. Recht
ſo! Bravo! Was du aber alles erſpähſt, berichteſt! Herzens-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/316>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.