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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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sein, die er grade bedarf. Und aus demselben intellektuellen
Urgrund, um den, und aus dem sich sein ganzer Karakter ge-
staltet. Er liebt Geist, und bedarf Geist: er findet Gedanken,
und nimmt sie auf: aber "zu kurzem, nicht strengen Gebrauch."
Dann, bedarf er, und ist er gewöhnt von Einigen, und
von sich, für einen Kourmacher -- schlechtestes Wort hier!
-- angesehen zu werden: und so auffahrend zimperlich auch
Mad. *, wenn wer, durch Wort oder That, ihr Hin- und
Herzerren, Minaudiren, so bezeichnen wollte, sich gebärden
würde, so giebt sie ihm doch zu dergleichen Veranlassung;
dieses Üben hat er nöthig, seine Feierstunden zu bewegen. So
sehe ich das Ganze ein: mit allem Guten, Menschlichen, wirk-
lichen Geistreichen, was es hat, und hervorbringt. Das Ver-
hältniß geht aber nicht aus solcher Wahrheit hervor, die nicht
einmal für sie Beide eine bessere, und also andre Einsicht über
ihre Verbindung, und ihren Umgang zuließe. Dies ist der
Fehler daran; aber keiner für ihre jetzige Zeit: weil er nur
für den existirt, der ihn einsieht. Nicht der Rede werth! Nur
für dich und mich, die wir gerne einander unsre Einsichten --
über welchen Gegenstand es sei -- begründen. Hilf ihm nur
in allen Stücken! lieb Augüstchen! Das Diner mit den El-
tern und beiden Töchtern in freier Luft, bei Bartholdy's vor-
gestern, nach Mittheilungen aus deinen Briefen und des höch-
sten Beifalls, war sehr angenehm: wobei ich auch die schön-
gewordene Marie vorstellte mit größtem Erfolg. -- Höre, was
gestern geschah. Als ich noch im Bette liege, vor dem Kaffee,
kommen beide Mädchen schreiend und mit Jubel, jede eine
von meinen großen Glasvasen in den Händen, die überfüllt

mit

ſein, die er grade bedarf. Und aus demſelben intellektuellen
Urgrund, um den, und aus dem ſich ſein ganzer Karakter ge-
ſtaltet. Er liebt Geiſt, und bedarf Geiſt: er findet Gedanken,
und nimmt ſie auf: aber „zu kurzem, nicht ſtrengen Gebrauch.“
Dann, bedarf er, und iſt er gewöhnt von Einigen, und
von ſich, für einen Kourmacher — ſchlechteſtes Wort hier!
— angeſehen zu werden: und ſo auffahrend zimperlich auch
Mad. *, wenn wer, durch Wort oder That, ihr Hin- und
Herzerren, Minaudiren, ſo bezeichnen wollte, ſich gebärden
würde, ſo giebt ſie ihm doch zu dergleichen Veranlaſſung;
dieſes Üben hat er nöthig, ſeine Feierſtunden zu bewegen. So
ſehe ich das Ganze ein: mit allem Guten, Menſchlichen, wirk-
lichen Geiſtreichen, was es hat, und hervorbringt. Das Ver-
hältniß geht aber nicht aus ſolcher Wahrheit hervor, die nicht
einmal für ſie Beide eine beſſere, und alſo andre Einſicht über
ihre Verbindung, und ihren Umgang zuließe. Dies iſt der
Fehler daran; aber keiner für ihre jetzige Zeit: weil er nur
für den exiſtirt, der ihn einſieht. Nicht der Rede werth! Nur
für dich und mich, die wir gerne einander unſre Einſichten —
über welchen Gegenſtand es ſei — begründen. Hilf ihm nur
in allen Stücken! lieb Augüſtchen! Das Diner mit den El-
tern und beiden Töchtern in freier Luft, bei Bartholdy’s vor-
geſtern, nach Mittheilungen aus deinen Briefen und des höch-
ſten Beifalls, war ſehr angenehm: wobei ich auch die ſchön-
gewordene Marie vorſtellte mit größtem Erfolg. — Höre, was
geſtern geſchah. Als ich noch im Bette liege, vor dem Kaffee,
kommen beide Mädchen ſchreiend und mit Jubel, jede eine
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[304/0312] ſein, die er grade bedarf. Und aus demſelben intellektuellen Urgrund, um den, und aus dem ſich ſein ganzer Karakter ge- ſtaltet. Er liebt Geiſt, und bedarf Geiſt: er findet Gedanken, und nimmt ſie auf: aber „zu kurzem, nicht ſtrengen Gebrauch.“ Dann, bedarf er, und iſt er gewöhnt von Einigen, und von ſich, für einen Kourmacher — ſchlechteſtes Wort hier! — angeſehen zu werden: und ſo auffahrend zimperlich auch Mad. *, wenn wer, durch Wort oder That, ihr Hin- und Herzerren, Minaudiren, ſo bezeichnen wollte, ſich gebärden würde, ſo giebt ſie ihm doch zu dergleichen Veranlaſſung; dieſes Üben hat er nöthig, ſeine Feierſtunden zu bewegen. So ſehe ich das Ganze ein: mit allem Guten, Menſchlichen, wirk- lichen Geiſtreichen, was es hat, und hervorbringt. Das Ver- hältniß geht aber nicht aus ſolcher Wahrheit hervor, die nicht einmal für ſie Beide eine beſſere, und alſo andre Einſicht über ihre Verbindung, und ihren Umgang zuließe. Dies iſt der Fehler daran; aber keiner für ihre jetzige Zeit: weil er nur für den exiſtirt, der ihn einſieht. Nicht der Rede werth! Nur für dich und mich, die wir gerne einander unſre Einſichten — über welchen Gegenſtand es ſei — begründen. Hilf ihm nur in allen Stücken! lieb Augüſtchen! Das Diner mit den El- tern und beiden Töchtern in freier Luft, bei Bartholdy’s vor- geſtern, nach Mittheilungen aus deinen Briefen und des höch- ſten Beifalls, war ſehr angenehm: wobei ich auch die ſchön- gewordene Marie vorſtellte mit größtem Erfolg. — Höre, was geſtern geſchah. Als ich noch im Bette liege, vor dem Kaffee, kommen beide Mädchen ſchreiend und mit Jubel, jede eine von meinen großen Glasvaſen in den Händen, die überfüllt mit

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/312>, abgerufen am 25.11.2024.