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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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An Varnhagen, in München.

-- Von da zu Frau von Kalb; den geistvollsten Abend
voller Heiterkeit und Vorhersagen; nämlich: elle repetait mot
pour mot ce que j'allais dire;
ich konnte nicht aufkommen,
und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat sie mit
einer Milde, Nachlässigkeit und Schärfe gesprochen, wie ein
seliger Geist etc. etc. Dich läßt sie nachdrücklich grüßen: sie
würde dir immer "güter," läßt sie dir sagen. Natürlich hat-
ten wir vorher von dir gesprochen; und ich ihr von Baader
und mehr dgl. gelesen was ihr frommte. Mit der Neunuhr-
Trommel ging ich nach Hause -- das Gas brannte schlecht --
kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei
Conradi für vier Silbergroschen! -- Kuchen muß man in
Hungersnoth essen, -- und fand deinen theuren lieben Brief,
den, wo du Macbeth gesehen hattest. -- -- Ich denke mir
dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens-
freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn,
du überläufst ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir
zum Gott, so wie einer ihn nicht verstehen kann oder will
(das fließt mir zusammen), nicht aus Widerspruch. Irrig
nennt man dies Widerspruchsgeist. Mein Himmel! den hat
man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer-
den! Aber wenn sie mir ihn bezweiflen, streitig machen wol-
len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das
hochstehende Bild! herabnehmen, antasten, hie und da mit

An Varnhagen, in München.

— Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend
voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: elle répétait mot
pour mot ce que j’allais dire;
ich konnte nicht aufkommen,
und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit
einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein
ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie
würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat-
ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader
und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr-
Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht —
kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei
Conradi für vier Silbergroſchen! — Kuchen muß man in
Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief,
den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. — — Ich denke mir
dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens-
freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn,
du überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir
zum Gott, ſo wie einer ihn nicht verſtehen kann oder will
(das fließt mir zuſammen), nicht aus Widerſpruch. Irrig
nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat
man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer-
den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol-
len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das
hochſtehende Bild! herabnehmen, antaſten, hie und da mit

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[302/0310] An Varnhagen, in München. Berlin, den 14. September 1827. — Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: elle répétait mot pour mot ce que j’allais dire; ich konnte nicht aufkommen, und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat- ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr- Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht — kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei Conradi für vier Silbergroſchen! — Kuchen muß man in Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief, den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. — — Ich denke mir dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens- freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn, du überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir zum Gott, ſo wie einer ihn nicht verſtehen kann oder will (das fließt mir zuſammen), nicht aus Widerſpruch. Irrig nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer- den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol- len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das hochſtehende Bild! herabnehmen, antaſten, hie und da mit

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/310>, abgerufen am 25.11.2024.