-- Von da zu Frau von Kalb; den geistvollsten Abend voller Heiterkeit und Vorhersagen; nämlich: elle repetait mot pour mot ce que j'allais dire; ich konnte nicht aufkommen, und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat sie mit einer Milde, Nachlässigkeit und Schärfe gesprochen, wie ein seliger Geist etc. etc. Dich läßt sie nachdrücklich grüßen: sie würde dir immer "güter," läßt sie dir sagen. Natürlich hat- ten wir vorher von dir gesprochen; und ich ihr von Baader und mehr dgl. gelesen was ihr frommte. Mit der Neunuhr- Trommel ging ich nach Hause -- das Gas brannte schlecht -- kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei Conradi für vier Silbergroschen! -- Kuchen muß man in Hungersnoth essen, -- und fand deinen theuren lieben Brief, den, wo du Macbeth gesehen hattest. -- -- Ich denke mir dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens- freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn, du überläufst ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir zum Gott, so wie einer ihn nicht verstehen kann oder will (das fließt mir zusammen), nicht aus Widerspruch. Irrig nennt man dies Widerspruchsgeist. Mein Himmel! den hat man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer- den! Aber wenn sie mir ihn bezweiflen, streitig machen wol- len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das hochstehende Bild! herabnehmen, antasten, hie und da mit
An Varnhagen, in München.
Berlin, den 14. September 1827.
— Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: elle répétait mot pour mot ce que j’allais dire; ich konnte nicht aufkommen, und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat- ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr- Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht — kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei Conradi für vier Silbergroſchen! — Kuchen muß man in Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief, den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. — — Ich denke mir dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens- freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn, du überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir zum Gott, ſo wie einer ihn nicht verſtehen kann oder will (das fließt mir zuſammen), nicht aus Widerſpruch. Irrig nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer- den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol- len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das hochſtehende Bild! herabnehmen, antaſten, hie und da mit
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0310"n="302"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in München.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 14. September 1827.</hi></dateline><lb/><p>— Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend<lb/>
voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: <hirendition="#aq">elle répétait mot<lb/>
pour mot ce que j’allais dire;</hi> ich konnte nicht aufkommen,<lb/>
und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit<lb/>
einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein<lb/>ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie<lb/>
würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat-<lb/>
ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader<lb/>
und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr-<lb/>
Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht —<lb/>
kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei<lb/>
Conradi für <hirendition="#g">vier Silbergroſchen</hi>! — Kuchen muß man in<lb/>
Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief,<lb/>
den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. —— Ich denke mir<lb/>
dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens-<lb/>
freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn,<lb/><hirendition="#g">du</hi> überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er <hirendition="#g">wird</hi> mir<lb/>
zum Gott, ſo <hirendition="#g">wie</hi> einer ihn nicht verſtehen kann oder will<lb/>
(das fließt mir zuſammen), <hirendition="#g">nicht</hi> aus Widerſpruch. Irrig<lb/>
nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat<lb/>
man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer-<lb/>
den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol-<lb/>
len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das<lb/><hirendition="#g">hochſtehende Bild</hi>! herabnehmen, antaſten, hie und da mit<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[302/0310]
An Varnhagen, in München.
Berlin, den 14. September 1827.
— Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend
voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: elle répétait mot
pour mot ce que j’allais dire; ich konnte nicht aufkommen,
und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit
einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein
ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie
würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat-
ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader
und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr-
Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht —
kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei
Conradi für vier Silbergroſchen! — Kuchen muß man in
Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief,
den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. — — Ich denke mir
dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens-
freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn,
du überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir
zum Gott, ſo wie einer ihn nicht verſtehen kann oder will
(das fließt mir zuſammen), nicht aus Widerſpruch. Irrig
nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat
man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer-
den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol-
len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das
hochſtehende Bild! herabnehmen, antaſten, hie und da mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/310>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.