Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war.
Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar
bald blitzt es nicht mehr, sogar erinnre ich mich nicht deutlich
eines Blitzes. Aber eine Röthe entstand am Himmel, und
bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er-
füllt; kein Gegenstand mehr zu sehn; meine Freunde waren
in diesem herrlichen Abendroth -- mit Staub oder vielmehr
Dunst untermischt -- verschwunden, obgleich mir ganz nah,
eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde schwankt, das Roth
immer schöner, allgemeiner. "Wo seid Ihr?" schrei ich; "das
ist ein Untergang," denk' ich; "oder Tod!" Ich will aufpas-
sen, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! "Robert, wo bist
du?" schrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich.
"Wir wollen Alle zusammen bleiben; kommt zu mir; wir
wollen zusammen sterben." Die Erde schwankt noch mehr.
"Robert, komm her! denk' an Gott. Denk' nur an Gott;
ich denke an Gott." Und so passe ich auf meine Seele,
und schreie das immer, weil ich weiß, Robert ist ganz nah.
Vom Geschrei erwache ich. -- Ist das nicht ein trostvoller
göttlicher Traum? Ich hatte mir gestern Abend einen bedeu-
tungsvollen erbeten, -- -- weil ich sehr am Rande war.
Solcher Traum ist mir so lieb als Leben, und solche Gnade
nach dem Gebet, daß ich mich schäme und scheue. Gott
weiß es. --




Wir lesen und hören von jeher: "Der Mensch kennt sich
nicht selbst, der Dümmste kennt ihn besser, als er sich; will

Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war.
Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar
bald blitzt es nicht mehr, ſogar erinnre ich mich nicht deutlich
eines Blitzes. Aber eine Röthe entſtand am Himmel, und
bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er-
füllt; kein Gegenſtand mehr zu ſehn; meine Freunde waren
in dieſem herrlichen Abendroth — mit Staub oder vielmehr
Dunſt untermiſcht — verſchwunden, obgleich mir ganz nah,
eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde ſchwankt, das Roth
immer ſchöner, allgemeiner. „Wo ſeid Ihr?“ ſchrei ich; „das
iſt ein Untergang,“ denk’ ich; „oder Tod!“ Ich will aufpaſ-
ſen, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! „Robert, wo biſt
du?“ ſchrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich.
„Wir wollen Alle zuſammen bleiben; kommt zu mir; wir
wollen zuſammen ſterben.“ Die Erde ſchwankt noch mehr.
Robert, komm her! denk’ an Gott. Denk’ nur an Gott;
ich denke an Gott.“ Und ſo paſſe ich auf meine Seele,
und ſchreie das immer, weil ich weiß, Robert iſt ganz nah.
Vom Geſchrei erwache ich. — Iſt das nicht ein troſtvoller
göttlicher Traum? Ich hatte mir geſtern Abend einen bedeu-
tungsvollen erbeten, — — weil ich ſehr am Rande war.
Solcher Traum iſt mir ſo lieb als Leben, und ſolche Gnade
nach dem Gebet, daß ich mich ſchäme und ſcheue. Gott
weiß es. —




Wir leſen und hören von jeher: „Der Menſch kennt ſich
nicht ſelbſt, der Dümmſte kennt ihn beſſer, als er ſich; will

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war.<lb/>
Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar<lb/>
bald blitzt es nicht mehr, &#x017F;ogar erinnre ich mich nicht deutlich<lb/>
eines Blitzes. Aber eine Röthe ent&#x017F;tand am Himmel, und<lb/>
bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er-<lb/>
füllt; kein Gegen&#x017F;tand mehr zu &#x017F;ehn; meine Freunde waren<lb/>
in die&#x017F;em herrlichen Abendroth &#x2014; mit Staub oder vielmehr<lb/>
Dun&#x017F;t untermi&#x017F;cht &#x2014; ver&#x017F;chwunden, obgleich mir ganz nah,<lb/>
eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde &#x017F;chwankt, das Roth<lb/>
immer &#x017F;chöner, allgemeiner. &#x201E;Wo &#x017F;eid Ihr?&#x201C; &#x017F;chrei ich; &#x201E;das<lb/>
i&#x017F;t ein Untergang,&#x201C; denk&#x2019; ich; &#x201E;oder Tod!&#x201C; Ich will aufpa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! &#x201E;Robert, wo bi&#x017F;t<lb/>
du?&#x201C; &#x017F;chrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich.<lb/>
&#x201E;Wir wollen Alle zu&#x017F;ammen bleiben; kommt zu mir; wir<lb/>
wollen zu&#x017F;ammen &#x017F;terben.&#x201C; Die Erde &#x017F;chwankt noch mehr.<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Robert</hi>, komm her! denk&#x2019; an <hi rendition="#g">Gott</hi>. Denk&#x2019; <hi rendition="#g">nur</hi> an Gott;<lb/><hi rendition="#g">ich denke an Gott</hi>.&#x201C; Und &#x017F;o pa&#x017F;&#x017F;e ich auf meine Seele,<lb/>
und &#x017F;chreie das immer, weil ich weiß, Robert i&#x017F;t ganz nah.<lb/>
Vom Ge&#x017F;chrei erwache ich. &#x2014; I&#x017F;t das nicht ein tro&#x017F;tvoller<lb/>
göttlicher Traum? Ich hatte mir ge&#x017F;tern Abend einen bedeu-<lb/>
tungsvollen erbeten, &#x2014; &#x2014; weil ich &#x017F;ehr am Rande war.<lb/>
Solcher Traum i&#x017F;t mir &#x017F;o lieb als Leben, und &#x017F;olche Gnade<lb/>
nach dem Gebet, daß ich mich &#x017F;chäme und &#x017F;cheue. Gott<lb/>
weiß es. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Mai, 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wir le&#x017F;en und hören von jeher: &#x201E;Der Men&#x017F;ch kennt &#x017F;ich<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t, der Dümm&#x017F;te kennt ihn be&#x017F;&#x017F;er, als er &#x017F;ich; will<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war. Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar bald blitzt es nicht mehr, ſogar erinnre ich mich nicht deutlich eines Blitzes. Aber eine Röthe entſtand am Himmel, und bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er- füllt; kein Gegenſtand mehr zu ſehn; meine Freunde waren in dieſem herrlichen Abendroth — mit Staub oder vielmehr Dunſt untermiſcht — verſchwunden, obgleich mir ganz nah, eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde ſchwankt, das Roth immer ſchöner, allgemeiner. „Wo ſeid Ihr?“ ſchrei ich; „das iſt ein Untergang,“ denk’ ich; „oder Tod!“ Ich will aufpaſ- ſen, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! „Robert, wo biſt du?“ ſchrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich. „Wir wollen Alle zuſammen bleiben; kommt zu mir; wir wollen zuſammen ſterben.“ Die Erde ſchwankt noch mehr. „Robert, komm her! denk’ an Gott. Denk’ nur an Gott; ich denke an Gott.“ Und ſo paſſe ich auf meine Seele, und ſchreie das immer, weil ich weiß, Robert iſt ganz nah. Vom Geſchrei erwache ich. — Iſt das nicht ein troſtvoller göttlicher Traum? Ich hatte mir geſtern Abend einen bedeu- tungsvollen erbeten, — — weil ich ſehr am Rande war. Solcher Traum iſt mir ſo lieb als Leben, und ſolche Gnade nach dem Gebet, daß ich mich ſchäme und ſcheue. Gott weiß es. — Mai, 1825. Wir leſen und hören von jeher: „Der Menſch kennt ſich nicht ſelbſt, der Dümmſte kennt ihn beſſer, als er ſich; will

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/208
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/208>, abgerufen am 25.11.2024.