Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

große Rolle spielen; und wo sie -- und wir jetzt mit! --
grade in der Musik das dramatisch nennen, was es nicht ist:
nämlich, Worten ihren Redewerth zu lassen, und nicht viel-
mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen
will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu lassen. Man
höre nur mit Aufmerksamkeit, wie viele Lieblichkeiten in sei-
nen Musiken wider seinen Willen hervorsprossen: ganz italiä-
nische, freie, üppige, liebliche, reiche, graziöse Gewächse. Alle
Tanzmusik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia's
Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch
nur sagen, da wo er nicht sollte: er sollte überlegen, daß er
sich gehen lassen, und nicht so sehr influenziren lassen muß!
Alle zu häufige militärische Musik ist nun wieder von hier
u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum -- von Frankreich
geboren; und von Eitelkeit erzogen -- der, daß er's mit Lärm
und Instrumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von
Leuten, die sein wahres Wesen nicht faßten! Überließ er sich
je seinem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, so wäre
er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Abstraktes,
und immer Meisterhaftes, zu liefern. Er besitzt eine Melan-
cholie, er ist melancholisch; die müßte er einmal frei dar-
stellen. Seine komischen Opern sollen vortrefflich sein. Er
zwingt seinen eigenen Genius in allerlei Wahn, das ist wahr:
aber welchen von all den sich zwingenden Komponisten,
die jetzt notiren, und oben an "Oper" setzen, bleibt so viel
Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns
ganz in Anspruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter-
suchen, wozu er auch zwingt -- durch Bedächtigkeiten und

große Rolle ſpielen; und wo ſie — und wir jetzt mit! —
grade in der Muſik das dramatiſch nennen, was es nicht iſt:
nämlich, Worten ihren Redewerth zu laſſen, und nicht viel-
mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen
will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu laſſen. Man
höre nur mit Aufmerkſamkeit, wie viele Lieblichkeiten in ſei-
nen Muſiken wider ſeinen Willen hervorſproſſen: ganz italiä-
niſche, freie, üppige, liebliche, reiche, graziöſe Gewächſe. Alle
Tanzmuſik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia’s
Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch
nur ſagen, da wo er nicht ſollte: er ſollte überlegen, daß er
ſich gehen laſſen, und nicht ſo ſehr influenziren laſſen muß!
Alle zu häufige militäriſche Muſik iſt nun wieder von hier
u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum — von Frankreich
geboren; und von Eitelkeit erzogen — der, daß er’s mit Lärm
und Inſtrumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von
Leuten, die ſein wahres Weſen nicht faßten! Überließ er ſich
je ſeinem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, ſo wäre
er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Abſtraktes,
und immer Meiſterhaftes, zu liefern. Er beſitzt eine Melan-
cholie, er iſt melancholiſch; die müßte er einmal frei dar-
ſtellen. Seine komiſchen Opern ſollen vortrefflich ſein. Er
zwingt ſeinen eigenen Genius in allerlei Wahn, das iſt wahr:
aber welchen von all den ſich zwingenden Komponiſten,
die jetzt notiren, und oben an „Oper“ ſetzen, bleibt ſo viel
Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns
ganz in Anſpruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter-
ſuchen, wozu er auch zwingt — durch Bedächtigkeiten und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0206" n="198"/>
große Rolle &#x017F;pielen; und wo &#x017F;ie &#x2014; und wir jetzt mit! &#x2014;<lb/>
grade in der Mu&#x017F;ik das dramati&#x017F;ch nennen, was es nicht i&#x017F;t:<lb/>
nämlich, Worten ihren Redewerth zu la&#x017F;&#x017F;en, und nicht viel-<lb/>
mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen<lb/>
will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu la&#x017F;&#x017F;en. Man<lb/>
höre nur mit Aufmerk&#x017F;amkeit, wie viele Lieblichkeiten in &#x017F;ei-<lb/>
nen Mu&#x017F;iken wider &#x017F;einen Willen hervor&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en: ganz italiä-<lb/>
ni&#x017F;che, freie, üppige, liebliche, reiche, graziö&#x017F;e Gewäch&#x017F;e. Alle<lb/>
Tanzmu&#x017F;ik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia&#x2019;s<lb/>
Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch<lb/>
nur &#x017F;agen, da wo er nicht &#x017F;ollte: er &#x017F;ollte überlegen, daß er<lb/>
&#x017F;ich gehen la&#x017F;&#x017F;en, und nicht &#x017F;o &#x017F;ehr influenziren la&#x017F;&#x017F;en muß!<lb/>
Alle zu häufige militäri&#x017F;che Mu&#x017F;ik i&#x017F;t nun wieder von hier<lb/>
u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum &#x2014; von Frankreich<lb/>
geboren; und von Eitelkeit erzogen &#x2014; der, daß er&#x2019;s mit Lärm<lb/>
und In&#x017F;trumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von<lb/>
Leuten, die &#x017F;ein wahres We&#x017F;en nicht faßten! Überließ er &#x017F;ich<lb/>
je &#x017F;einem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, &#x017F;o wäre<lb/>
er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Ab&#x017F;traktes,<lb/>
und immer Mei&#x017F;terhaftes, zu liefern. Er be&#x017F;itzt eine Melan-<lb/>
cholie, er i&#x017F;t melancholi&#x017F;ch; die müßte er einmal frei dar-<lb/>
&#x017F;tellen. Seine komi&#x017F;chen Opern &#x017F;ollen vortrefflich &#x017F;ein. Er<lb/>
zwingt &#x017F;einen eigenen Genius in allerlei Wahn, das i&#x017F;t wahr:<lb/>
aber welchen von all den &#x017F;ich zwingenden Komponi&#x017F;ten,<lb/>
die jetzt notiren, und oben an &#x201E;Oper&#x201C; &#x017F;etzen, bleibt &#x017F;o viel<lb/>
Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns<lb/>
ganz in An&#x017F;pruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter-<lb/>
&#x017F;uchen, wozu er auch zwingt &#x2014; durch Bedächtigkeiten und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0206] große Rolle ſpielen; und wo ſie — und wir jetzt mit! — grade in der Muſik das dramatiſch nennen, was es nicht iſt: nämlich, Worten ihren Redewerth zu laſſen, und nicht viel- mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu laſſen. Man höre nur mit Aufmerkſamkeit, wie viele Lieblichkeiten in ſei- nen Muſiken wider ſeinen Willen hervorſproſſen: ganz italiä- niſche, freie, üppige, liebliche, reiche, graziöſe Gewächſe. Alle Tanzmuſik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia’s Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch nur ſagen, da wo er nicht ſollte: er ſollte überlegen, daß er ſich gehen laſſen, und nicht ſo ſehr influenziren laſſen muß! Alle zu häufige militäriſche Muſik iſt nun wieder von hier u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum — von Frankreich geboren; und von Eitelkeit erzogen — der, daß er’s mit Lärm und Inſtrumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von Leuten, die ſein wahres Weſen nicht faßten! Überließ er ſich je ſeinem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, ſo wäre er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Abſtraktes, und immer Meiſterhaftes, zu liefern. Er beſitzt eine Melan- cholie, er iſt melancholiſch; die müßte er einmal frei dar- ſtellen. Seine komiſchen Opern ſollen vortrefflich ſein. Er zwingt ſeinen eigenen Genius in allerlei Wahn, das iſt wahr: aber welchen von all den ſich zwingenden Komponiſten, die jetzt notiren, und oben an „Oper“ ſetzen, bleibt ſo viel Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns ganz in Anſpruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter- ſuchen, wozu er auch zwingt — durch Bedächtigkeiten und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/206
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/206>, abgerufen am 15.05.2024.