Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

bleiben zu wollen. Sie müssen sich auch äußerlich an die
Klasse halten, sich zu der großen Klasse bekennen, mit deren
Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins sind. Sie
werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieses Be-
kenntniß nach sich führen könnte, in den neuern Judenhaß,
nicht miteinstimmen; und noch immer den unseligen Überbleib-
seln (ich möchte sagen Warnungszeichen für Staatengründer)
einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeschrit-
tenen Nation, beistehen; menschlich, d. h. christlich: im
Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer
besten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Masse ge-
hässig (unter christlichem Vorwand) behandlen will, anstatt
sie, weil sie Einmal im Christenstaate da sind, durch gütige,
großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen. Sie wer-
den sich Ihrer jüdischen Geburt nicht schämen, und die Nation,
deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du-
rum
preisgeben, damit man nicht sage, Sie haben noch Jü-
disches an sich! Lassen Sie sich in dem Muth, solche Vorwürfe
nicht zu achten, durch die neubekannten religiösen Vorsätze
stärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Gesin-
nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie
kenne; und freudiger, getroster, und williger, die Bürgschaft
übernehme; damit sie einen lebendigen Sinn bekomme, und
Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie
klagen und beichten, der Sie trösten und ermahnen darf. Man
kann das Leben beleben: und dafür bin ich sehr; dies ist des
Lebens größtes Glück; und mich dünkt, seine größte Aufgabe. --



bleiben zu wollen. Sie müſſen ſich auch äußerlich an die
Klaſſe halten, ſich zu der großen Klaſſe bekennen, mit deren
Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins ſind. Sie
werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieſes Be-
kenntniß nach ſich führen könnte, in den neuern Judenhaß,
nicht miteinſtimmen; und noch immer den unſeligen Überbleib-
ſeln (ich möchte ſagen Warnungszeichen für Staatengründer)
einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeſchrit-
tenen Nation, beiſtehen; menſchlich, d. h. chriſtlich: im
Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer
beſten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Maſſe ge-
häſſig (unter chriſtlichem Vorwand) behandlen will, anſtatt
ſie, weil ſie Einmal im Chriſtenſtaate da ſind, durch gütige,
großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen. Sie wer-
den ſich Ihrer jüdiſchen Geburt nicht ſchämen, und die Nation,
deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du-
rum
preisgeben, damit man nicht ſage, Sie haben noch Jü-
diſches an ſich! Laſſen Sie ſich in dem Muth, ſolche Vorwürfe
nicht zu achten, durch die neubekannten religiöſen Vorſätze
ſtärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Geſin-
nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie
kenne; und freudiger, getroſter, und williger, die Bürgſchaft
übernehme; damit ſie einen lebendigen Sinn bekomme, und
Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie
klagen und beichten, der Sie tröſten und ermahnen darf. Man
kann das Leben beleben: und dafür bin ich ſehr; dies iſt des
Lebens größtes Glück; und mich dünkt, ſeine größte Aufgabe. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0545" n="537"/>
bleiben zu wollen. Sie mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auch äußerlich an die<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e halten, &#x017F;ich zu der großen Kla&#x017F;&#x017F;e bekennen, mit deren<lb/>
Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins &#x017F;ind. Sie<lb/>
werden dadurch in das einzige Schlechte, welches die&#x017F;es Be-<lb/>
kenntniß nach &#x017F;ich führen könnte, in den neuern Judenhaß,<lb/>
nicht mitein&#x017F;timmen; und noch immer den un&#x017F;eligen Überbleib-<lb/>
&#x017F;eln (ich möchte &#x017F;agen Warnungszeichen für Staatengründer)<lb/>
einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorge&#x017F;chrit-<lb/>
tenen Nation, bei&#x017F;tehen; <hi rendition="#g">men&#x017F;chlich, d. h. chri&#x017F;tlich</hi>: im<lb/>
Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer<lb/>
be&#x017F;ten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Ma&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>&#x017F;&#x017F;ig (unter chri&#x017F;tlichem <hi rendition="#g">Vorwand</hi>) behandlen will, an&#x017F;tatt<lb/>
&#x017F;ie, weil &#x017F;ie Einmal im Chri&#x017F;ten&#x017F;taate da &#x017F;ind, durch gütige,<lb/>
großmüthige Mittel ganz für ihn zu <hi rendition="#g">gewinnen</hi>. Sie wer-<lb/>
den &#x017F;ich Ihrer jüdi&#x017F;chen Geburt nicht &#x017F;chämen, und die Nation,<lb/>
deren Unglück <hi rendition="#g">und</hi> Mängel Sie dadurch genauer kennen, <hi rendition="#g">du-<lb/>
rum</hi> preisgeben, damit man nicht &#x017F;age, Sie haben noch Jü-<lb/>
di&#x017F;ches an &#x017F;ich! La&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich in dem Muth, &#x017F;olche Vorwürfe<lb/>
nicht zu achten, durch die neubekannten religiö&#x017F;en Vor&#x017F;ätze<lb/>
&#x017F;tärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie<lb/>
kenne; und freudiger, getro&#x017F;ter, und williger, die Bürg&#x017F;chaft<lb/>
übernehme; damit &#x017F;ie einen lebendigen Sinn bekomme, und<lb/>
Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie<lb/>
klagen und beichten, der Sie trö&#x017F;ten und ermahnen darf. Man<lb/>
kann das Leben beleben: und dafür bin ich &#x017F;ehr; dies i&#x017F;t des<lb/>
Lebens größtes Glück; und mich dünkt, &#x017F;eine größte Aufgabe. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0545] bleiben zu wollen. Sie müſſen ſich auch äußerlich an die Klaſſe halten, ſich zu der großen Klaſſe bekennen, mit deren Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins ſind. Sie werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieſes Be- kenntniß nach ſich führen könnte, in den neuern Judenhaß, nicht miteinſtimmen; und noch immer den unſeligen Überbleib- ſeln (ich möchte ſagen Warnungszeichen für Staatengründer) einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeſchrit- tenen Nation, beiſtehen; menſchlich, d. h. chriſtlich: im Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer beſten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Maſſe ge- häſſig (unter chriſtlichem Vorwand) behandlen will, anſtatt ſie, weil ſie Einmal im Chriſtenſtaate da ſind, durch gütige, großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen. Sie wer- den ſich Ihrer jüdiſchen Geburt nicht ſchämen, und die Nation, deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du- rum preisgeben, damit man nicht ſage, Sie haben noch Jü- diſches an ſich! Laſſen Sie ſich in dem Muth, ſolche Vorwürfe nicht zu achten, durch die neubekannten religiöſen Vorſätze ſtärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Geſin- nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie kenne; und freudiger, getroſter, und williger, die Bürgſchaft übernehme; damit ſie einen lebendigen Sinn bekomme, und Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie klagen und beichten, der Sie tröſten und ermahnen darf. Man kann das Leben beleben: und dafür bin ich ſehr; dies iſt des Lebens größtes Glück; und mich dünkt, ſeine größte Aufgabe. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/545
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/545>, abgerufen am 04.05.2024.