kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, selbst in der Lage, worin wir nun Einmal sind. Ich wenigstens war schon so höchst unglücklich, durch Leidenschaft, Umstände, Men- schen, Kränkung, Sorge; so höchst elend durch schwere lange Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das ganze Leben zu beschauen, und aufzugeben. Sie haben ge- wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich ist Rahel und deren Geschwister gegen mich! und o! Gott! wie tief elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge- wünscht, gehofft, nach dem ich -- schon Unglück genug -- das Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entsagen; das ist mir versagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen, ohne Gesellschaft beinah; weil ich sie nicht bewirthen kann, und mich nach meinen Decken sehr strecken muß! Ich bin in einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal spa- ziren gehen, weil ich es allein, wollt' ich auch so weit gehen, nicht kann, und beinah nie Gesellschaft dazu habe: und sie auch beinah vermeide, weil dies kostspielig ist, wenn man nicht auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein Geld! Dies ist meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie gränzenlos; dies ist jetzt meine Leidenschaft. Ich bin einge- gesperrt. Dabei hatte ich schwere Sorge, Angst und Kosten, mit Einquartierung, und habe sie noch. Meine jüngern Brü- der sind verreist, mein ältester wohnt mit den Seinen im Thier- garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchst selten hinkomme. In die Komödie geh' ich manchmal in neun Mo- naten nicht; aus obenbenannten Ursachen, und weil sie mir nicht mehr so gefällt als sonst. Diesen Winter war ich sechs
kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, ſelbſt in der Lage, worin wir nun Einmal ſind. Ich wenigſtens war ſchon ſo höchſt unglücklich, durch Leidenſchaft, Umſtände, Men- ſchen, Kränkung, Sorge; ſo höchſt elend durch ſchwere lange Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das ganze Leben zu beſchauen, und aufzugeben. Sie haben ge- wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich iſt Rahel und deren Geſchwiſter gegen mich! und o! Gott! wie tief elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge- wünſcht, gehofft, nach dem ich — ſchon Unglück genug — das Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entſagen; das iſt mir verſagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen, ohne Geſellſchaft beinah; weil ich ſie nicht bewirthen kann, und mich nach meinen Decken ſehr ſtrecken muß! Ich bin in einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal ſpa- ziren gehen, weil ich es allein, wollt’ ich auch ſo weit gehen, nicht kann, und beinah nie Geſellſchaft dazu habe: und ſie auch beinah vermeide, weil dies koſtſpielig iſt, wenn man nicht auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein Geld! Dies iſt meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie gränzenlos; dies iſt jetzt meine Leidenſchaft. Ich bin einge- geſperrt. Dabei hatte ich ſchwere Sorge, Angſt und Koſten, mit Einquartierung, und habe ſie noch. Meine jüngern Brü- der ſind verreiſt, mein älteſter wohnt mit den Seinen im Thier- garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchſt ſelten hinkomme. In die Komödie geh’ ich manchmal in neun Mo- naten nicht; aus obenbenannten Urſachen, und weil ſie mir nicht mehr ſo gefällt als ſonſt. Dieſen Winter war ich ſechs
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[44/0052]
kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, ſelbſt in
der Lage, worin wir nun Einmal ſind. Ich wenigſtens war
ſchon ſo höchſt unglücklich, durch Leidenſchaft, Umſtände, Men-
ſchen, Kränkung, Sorge; ſo höchſt elend durch ſchwere lange
Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das
ganze Leben zu beſchauen, und aufzugeben. Sie haben ge-
wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich iſt Rahel
und deren Geſchwiſter gegen mich! und o! Gott! wie tief
elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge-
wünſcht, gehofft, nach dem ich — ſchon Unglück genug — das
Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entſagen; das iſt
mir verſagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen,
ohne Geſellſchaft beinah; weil ich ſie nicht bewirthen kann,
und mich nach meinen Decken ſehr ſtrecken muß! Ich bin in
einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal ſpa-
ziren gehen, weil ich es allein, wollt’ ich auch ſo weit gehen,
nicht kann, und beinah nie Geſellſchaft dazu habe: und ſie
auch beinah vermeide, weil dies koſtſpielig iſt, wenn man nicht
auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein
Geld! Dies iſt meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie
gränzenlos; dies iſt jetzt meine Leidenſchaft. Ich bin einge-
geſperrt. Dabei hatte ich ſchwere Sorge, Angſt und Koſten,
mit Einquartierung, und habe ſie noch. Meine jüngern Brü-
der ſind verreiſt, mein älteſter wohnt mit den Seinen im Thier-
garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchſt ſelten
hinkomme. In die Komödie geh’ ich manchmal in neun Mo-
naten nicht; aus obenbenannten Urſachen, und weil ſie mir
nicht mehr ſo gefällt als ſonſt. Dieſen Winter war ich ſechs
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/52>, abgerufen am 22.11.2024.
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