häufig geschieht! Den Verlust meiner Mutter fühle ich alle Tage herber, anstatt daß dies Andenken sich mildern sollte. Man wird mit dem Alter nur geschickter, mit dem Alter sich zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzusehen, was es vermißt, was man ihm leisten sollte, und was es ausge- standen hat! Manchmal denke ich, meine Sehnsucht nach meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha- ben, das Vermissen ihrer, bei dem von andern wünschenswer- then Dingen, ist eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch zu große Zerstreuung über mein Verhältniß zu ihr! -- ob- gleich ich mir keine bestimmten Fehler gegen sie habe zu Schul- den kommen lassen. Reue, Schmerz, Gram, Vermissen, alles muß dazu dienen, uns frömmer, stiller, und nachdenklicher über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir ist es wenigstens der Fall; daß, seitdem ich gar keine Hoff- nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerste verloren, und habe hingeben müssen, ich nicht so stechendes Unglück, als sonst fühle, und ruhiger die schönen Gegenstände der Natur ansehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle Ihnen das, liebe Kousine, weil auch Sie hart mit dem Glück zu kämpfen haben; und diese Betrachtung, und mein Exem- pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geist genom- men hat, führen kann! Denken Sie fest an Gott, Liebe! -- den man in großem Unglück findet; ich weiß es! -- und daß wir nichts selbst machen, und veranstalten können; wie wun- derbar unser ganzes Dasein, und unser Tod ist; daß die Höch- sten auf der Erde allem unter worfen sind, was uns und den Geringsten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik-
häufig geſchieht! Den Verluſt meiner Mutter fühle ich alle Tage herber, anſtatt daß dies Andenken ſich mildern ſollte. Man wird mit dem Alter nur geſchickter, mit dem Alter ſich zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzuſehen, was es vermißt, was man ihm leiſten ſollte, und was es ausge- ſtanden hat! Manchmal denke ich, meine Sehnſucht nach meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha- ben, das Vermiſſen ihrer, bei dem von andern wünſchenswer- then Dingen, iſt eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch zu große Zerſtreuung über mein Verhältniß zu ihr! — ob- gleich ich mir keine beſtimmten Fehler gegen ſie habe zu Schul- den kommen laſſen. Reue, Schmerz, Gram, Vermiſſen, alles muß dazu dienen, uns frömmer, ſtiller, und nachdenklicher über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir iſt es wenigſtens der Fall; daß, ſeitdem ich gar keine Hoff- nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerſte verloren, und habe hingeben müſſen, ich nicht ſo ſtechendes Unglück, als ſonſt fühle, und ruhiger die ſchönen Gegenſtände der Natur anſehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle Ihnen das, liebe Kouſine, weil auch Sie hart mit dem Glück zu kämpfen haben; und dieſe Betrachtung, und mein Exem- pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geiſt genom- men hat, führen kann! Denken Sie feſt an Gott, Liebe! — den man in großem Unglück findet; ich weiß es! — und daß wir nichts ſelbſt machen, und veranſtalten können; wie wun- derbar unſer ganzes Daſein, und unſer Tod iſt; daß die Höch- ſten auf der Erde allem unter worfen ſind, was uns und den Geringſten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik-
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häufig geſchieht! Den Verluſt meiner Mutter fühle ich alle
Tage herber, anſtatt daß dies Andenken ſich mildern ſollte.
Man wird mit dem Alter nur geſchickter, mit dem Alter ſich
zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzuſehen, was
es vermißt, was man ihm leiſten ſollte, und was es ausge-
ſtanden hat! Manchmal denke ich, meine Sehnſucht nach
meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha-
ben, das Vermiſſen ihrer, bei dem von andern wünſchenswer-
then Dingen, iſt eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch
zu große Zerſtreuung über mein Verhältniß zu ihr! — ob-
gleich ich mir keine beſtimmten Fehler gegen ſie habe zu Schul-
den kommen laſſen. Reue, Schmerz, Gram, Vermiſſen, alles
muß dazu dienen, uns frömmer, ſtiller, und nachdenklicher
über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir
iſt es wenigſtens der Fall; daß, ſeitdem ich gar keine Hoff-
nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerſte
verloren, und habe hingeben müſſen, ich nicht ſo ſtechendes
Unglück, als ſonſt fühle, und ruhiger die ſchönen Gegenſtände
der Natur anſehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle
Ihnen das, liebe Kouſine, weil auch Sie hart mit dem Glück
zu kämpfen haben; und dieſe Betrachtung, und mein Exem-
pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geiſt genom-
men hat, führen kann! Denken Sie feſt an Gott, Liebe! —
den man in großem Unglück findet; ich weiß es! — und daß
wir nichts ſelbſt machen, und veranſtalten können; wie wun-
derbar unſer ganzes Daſein, und unſer Tod iſt; daß die Höch-
ſten auf der Erde allem unter worfen ſind, was uns und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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