Wochen recht krank, diesen Sommer vor zwei Jahren -- jetzt zwei Jahr -- drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be- sonders vier Wochen einen heftigen Brustkrampf. Jetzt bin ich recht gesund, und äußerst vergnügt davon und darüber; und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel spa- ziren gehe -- welches ich mich in der Stadt unterstehe -- oder spät an meinem Fenster ohne Licht den Himmel beschaue, oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge- sundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder stören darf; da denk' ich denn an allerhand! Ich schreibe Ihnen dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein Exempel, welches Sie sonst vielleicht beneidet -- nämlich meine Lage -- zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un- glück! darin hat man sie nicht, aber sehr nöthig! Wenn Sie mir wieder schreiben, lassen Sie mich auch wissen, wie Sie leben, wohnen, und sind; ob Sie ein Kind bei sich ha- ben; womit Sie sich beschäftigen, ob Sie viel im Freien sind, dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntschaf- ten im Orte haben. Ich lese viel; und habe liebe edle Freunde; viele sind todt; und die meisten abwesend. Nur Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann sehe. Die Musik habe ich wegen Krankheiten sehr vernachlässiigen müs- sen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe! doch kann ich noch spielen. Ich sehe nicht kränklich aus: son- dern belebt und frisch. Die Natur hatte es gut mit mir im Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; so wurde ich ge- drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich wohne neben meinem ältesten Bruder an, und sehe die viel. --
Wochen recht krank, dieſen Sommer vor zwei Jahren — jetzt zwei Jahr — drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be- ſonders vier Wochen einen heftigen Bruſtkrampf. Jetzt bin ich recht geſund, und äußerſt vergnügt davon und darüber; und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel ſpa- ziren gehe — welches ich mich in der Stadt unterſtehe — oder ſpät an meinem Fenſter ohne Licht den Himmel beſchaue, oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge- ſundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder ſtören darf; da denk’ ich denn an allerhand! Ich ſchreibe Ihnen dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein Exempel, welches Sie ſonſt vielleicht beneidet — nämlich meine Lage — zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un- glück! darin hat man ſie nicht, aber ſehr nöthig! Wenn Sie mir wieder ſchreiben, laſſen Sie mich auch wiſſen, wie Sie leben, wohnen, und ſind; ob Sie ein Kind bei ſich ha- ben; womit Sie ſich beſchäftigen, ob Sie viel im Freien ſind, dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntſchaf- ten im Orte haben. Ich leſe viel; und habe liebe edle Freunde; viele ſind todt; und die meiſten abweſend. Nur Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann ſehe. Die Muſik habe ich wegen Krankheiten ſehr vernachläſſiigen müſ- ſen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe! doch kann ich noch ſpielen. Ich ſehe nicht kränklich aus: ſon- dern belebt und friſch. Die Natur hatte es gut mit mir im Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; ſo wurde ich ge- drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich wohne neben meinem älteſten Bruder an, und ſehe die viel. —
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Wochen recht krank, dieſen Sommer vor zwei Jahren — jetzt
zwei Jahr — drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be-
ſonders vier Wochen einen heftigen Bruſtkrampf. Jetzt bin
ich recht geſund, und äußerſt vergnügt davon und darüber;
und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel ſpa-
ziren gehe — welches ich mich in der Stadt unterſtehe —
oder ſpät an meinem Fenſter ohne Licht den Himmel beſchaue,
oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge-
ſundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder ſtören
darf; da denk’ ich denn an allerhand! Ich ſchreibe Ihnen
dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein
Exempel, welches Sie ſonſt vielleicht beneidet — nämlich meine
Lage — zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un-
glück! darin hat man ſie nicht, aber ſehr nöthig! Wenn
Sie mir wieder ſchreiben, laſſen Sie mich auch wiſſen, wie
Sie leben, wohnen, und ſind; ob Sie ein Kind bei ſich ha-
ben; womit Sie ſich beſchäftigen, ob Sie viel im Freien ſind,
dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntſchaf-
ten im Orte haben. Ich leſe viel; und habe liebe edle
Freunde; viele ſind todt; und die meiſten abweſend. Nur
Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann ſehe. Die
Muſik habe ich wegen Krankheiten ſehr vernachläſſiigen müſ-
ſen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe!
doch kann ich noch ſpielen. Ich ſehe nicht kränklich aus: ſon-
dern belebt und friſch. Die Natur hatte es gut mit mir im
Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; ſo wurde ich ge-
drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/53>, abgerufen am 22.11.2024.
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