Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich errieth, daß er aus einer schönen lieben Gegend ist: und
so war es auch. Er ist aus Kreuznach, und hat eine Ode an
diesen Ort in Prosa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat
weinen machen. Der liebt sein Vaterland. Weil er sieht,
weil er seine Mutter, seine Schwestern liebt. --

Ich bin gestört durch Nettchen. Vorgestern war Götter-
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.
Gestern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-
lium pflücken und mitschicken, und nachher vergaß ich's doch.
Adieu. Lesen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,
Luft; und bete darum. --



An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.


Meine liebe Kousine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erst eine Post dahin;
Sie sehen also, daß ich Ihren Wunsch eine schriftliche Nach-
richt von mir zu haben, verstehe wie Sie ihn hegen, und mich
gleich anschicke, und freue, daß ich den wenigstens befriedigen
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erst erfahren
müssen, daß Ihre Schwester nicht mehr lebt: ich habe sie nur
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht sehr, und
ist mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte
um mich her hinsterben: welches seit einigen Jahren mir zu

Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und
ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an
dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat
weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht,
weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. —

Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter-
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.
Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-
lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch.
Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,
Luft; und bete darum. —



An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.


Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin;
Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach-
richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich
gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren
müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und
iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte
um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="42"/>
Ich errieth, daß er aus einer &#x017F;chönen lieben Gegend i&#x017F;t: und<lb/>
&#x017F;o war es auch. Er i&#x017F;t aus Kreuznach, und hat eine Ode an<lb/>
die&#x017F;en Ort in Pro&#x017F;a gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat<lb/>
weinen machen. <hi rendition="#g">Der</hi> liebt &#x017F;ein Vaterland. Weil er <hi rendition="#g">&#x017F;ieht</hi>,<lb/>
weil er &#x017F;eine Mutter, &#x017F;eine Schwe&#x017F;tern liebt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich bin ge&#x017F;tört durch Nettchen. Vorge&#x017F;tern war Götter-<lb/>
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz<lb/>
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.<lb/>
Ge&#x017F;tern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-<lb/>
lium pflücken und mit&#x017F;chicken, und nachher vergaß ich&#x2019;s doch.<lb/>
Adieu. Le&#x017F;en Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.<lb/>
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,<lb/>
Luft; und bete <hi rendition="#g">da</hi>rum. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 27. Juni 1812.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Meine liebe Kou&#x017F;ine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief<lb/>
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht er&#x017F;t eine Po&#x017F;t dahin;<lb/>
Sie &#x017F;ehen al&#x017F;o, daß ich Ihren Wun&#x017F;ch eine &#x017F;chriftliche Nach-<lb/>
richt von mir zu haben, ver&#x017F;tehe wie Sie ihn hegen, und mich<lb/>
gleich an&#x017F;chicke, und freue, daß ich den wenig&#x017F;tens befriedigen<lb/>
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich er&#x017F;t erfahren<lb/>&#x017F;&#x017F;en, daß Ihre Schwe&#x017F;ter nicht mehr lebt: ich habe &#x017F;ie nur<lb/>
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht &#x017F;ehr, und<lb/>
i&#x017F;t mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte<lb/>
um mich her hin&#x017F;terben: welches &#x017F;eit einigen Jahren mir zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0050] Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht, weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. — Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter- wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo- lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch. Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete darum. — An Mariane Meyer, in Dyhrufurt. Berlin, den 27. Juni 1812. Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin; Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach- richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/50
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/50>, abgerufen am 21.11.2024.