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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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geschehen ist, ist mir zu verjährt." Zu lange muß nichts
dauren, was nicht schön ist; je suis trop blasee sur ce qui me
deplait.
Unser Schicksal ist eigentlich nichts, als unser Karak-
ter; unser Karakter, nichts, als das Resultat in aktivem und
passivem Dasein, der Summe, und Mischung all unserer Eigen-
schaften, und Gaben. Das sind wir -- am tiefsten genom-
men -- selbst: und was ist daran zu ändern? oder vielmehr,
wir selbst können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt,
in den wir nun mit unserer Persönlichkeit fallen, ist wieder
ein fest gegebener; eine solche Mischung -- wenn Sie wollen
-- im Größern. Deren, und unserer Person Aufeinanderwir-
ken nennen wir Schicksal; dem, können wir wirklich nur zu-
sehen, und unser Agitiren, ist nur ein illusorisches. Das Git-
ter woran wir ewig mit dem Kopf stoßen, eben weil wir eine
Aussicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns
zur Entwickelung eines ethischen Daseins gegeben. So expli-
zir' ich mir die Sache: und verstehe leicht und willig, die Er-
klärungsart jedes Menschen, wenn er's nur ehrlich und gut
meint; weil sie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in's Un-
begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe-
nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne sie,
nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch,
lieber Freund, schrieben mir in einer andern Tonart dasselbe;
muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al-
lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan-
gen, getragen von einem Meer, einer Atmosphäre von Ruhe
und Klarheit -- die ich nicht bin und nicht mache: die ich
mir andern Orts erworben haben mag -- so müßt' ich sterben

geſchehen iſt, iſt mir zu verjährt.“ Zu lange muß nichts
dauren, was nicht ſchön iſt; je suis trop blasée sur ce qui me
déplait.
Unſer Schickſal iſt eigentlich nichts, als unſer Karak-
ter; unſer Karakter, nichts, als das Reſultat in aktivem und
paſſivem Daſein, der Summe, und Miſchung all unſerer Eigen-
ſchaften, und Gaben. Das ſind wir — am tiefſten genom-
men — ſelbſt: und was iſt daran zu ändern? oder vielmehr,
wir ſelbſt können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt,
in den wir nun mit unſerer Perſönlichkeit fallen, iſt wieder
ein feſt gegebener; eine ſolche Miſchung — wenn Sie wollen
— im Größern. Deren, und unſerer Perſon Aufeinanderwir-
ken nennen wir Schickſal; dem, können wir wirklich nur zu-
ſehen, und unſer Agitiren, iſt nur ein illuſoriſches. Das Git-
ter woran wir ewig mit dem Kopf ſtoßen, eben weil wir eine
Ausſicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns
zur Entwickelung eines ethiſchen Daſeins gegeben. So expli-
zir’ ich mir die Sache: und verſtehe leicht und willig, die Er-
klärungsart jedes Menſchen, wenn er’s nur ehrlich und gut
meint; weil ſie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in’s Un-
begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe-
nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne ſie,
nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch,
lieber Freund, ſchrieben mir in einer andern Tonart daſſelbe;
muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al-
lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan-
gen, getragen von einem Meer, einer Atmoſphäre von Ruhe
und Klarheit — die ich nicht bin und nicht mache: die ich
mir andern Orts erworben haben mag — ſo müßt’ ich ſterben

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[428/0436] geſchehen iſt, iſt mir zu verjährt.“ Zu lange muß nichts dauren, was nicht ſchön iſt; je suis trop blasée sur ce qui me déplait. Unſer Schickſal iſt eigentlich nichts, als unſer Karak- ter; unſer Karakter, nichts, als das Reſultat in aktivem und paſſivem Daſein, der Summe, und Miſchung all unſerer Eigen- ſchaften, und Gaben. Das ſind wir — am tiefſten genom- men — ſelbſt: und was iſt daran zu ändern? oder vielmehr, wir ſelbſt können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt, in den wir nun mit unſerer Perſönlichkeit fallen, iſt wieder ein feſt gegebener; eine ſolche Miſchung — wenn Sie wollen — im Größern. Deren, und unſerer Perſon Aufeinanderwir- ken nennen wir Schickſal; dem, können wir wirklich nur zu- ſehen, und unſer Agitiren, iſt nur ein illuſoriſches. Das Git- ter woran wir ewig mit dem Kopf ſtoßen, eben weil wir eine Ausſicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns zur Entwickelung eines ethiſchen Daſeins gegeben. So expli- zir’ ich mir die Sache: und verſtehe leicht und willig, die Er- klärungsart jedes Menſchen, wenn er’s nur ehrlich und gut meint; weil ſie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in’s Un- begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe- nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne ſie, nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch, lieber Freund, ſchrieben mir in einer andern Tonart daſſelbe; muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al- lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan- gen, getragen von einem Meer, einer Atmoſphäre von Ruhe und Klarheit — die ich nicht bin und nicht mache: die ich mir andern Orts erworben haben mag — ſo müßt’ ich ſterben

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/436>, abgerufen am 22.12.2024.