(Versiegelt vorgefunden und erst nach dem 7. März 1833. eröffnet.)
Frankfurt a. M. den 24. April 1816.
Theuerster armer August! Könnt' ich dich trösten, wenn du dies liest! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe, und Beistand, die noch wirken werden; durch hundertfältige Gespräche, die wir hatten, über Dasein, und seine Gestalt im Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich- nen meines Willens, was mit meinen Besitzthümern nach mei- nem Leben geschehen soll, sehr ruhig und ganz vergnügt. Im großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erschütterter als im- mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich sehr, als ich von meinem alten Sopha sprach; und von mei- nem Perlenring. Auf dem ersten starb Papa, litt ich unend- lich. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geistes-, alle Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angst des Le- bens; den Rest von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken mit dem Ringe bekam ich nur, als ich schon dunkel aber ge- wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erschien mir die Be- deutung, das Aussehen des Ringes meinem innren Dasein ähnlich. Unschuldig, jung, edlen Ansehens, und vornehm, und aparte, und auch wie verzaubert, ganz einsam, und in der tiefsten Tiefe wieder freudig und putzhaft-festlich, aber immer allein. Da dacht' ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich ihn gab: nur Bitteres sollte gar nicht drunter sein; du Engel,
An Varnhagen.
(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833. eröffnet.)
Frankfurt a. M. den 24. April 1816.
Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe, und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich- nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei- nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im- mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei- nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend- lich. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le- bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge- wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be- deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0402"n="394"/><divn="2"><head>An Varnhagen.</head><lb/><p><hirendition="#c">(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833.<lb/>
eröffnet.)</hi></p><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Frankfurt a. M. den 24. April 1816.</hi></dateline><lb/><p>Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn<lb/>
du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch <hirendition="#g">Liebe</hi>,<lb/>
und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige<lb/>
Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im<lb/>
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-<lb/>
nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei-<lb/>
nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im<lb/>
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im-<lb/>
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich<lb/>ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei-<lb/>
nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich <hirendition="#g">unend-<lb/>
lich</hi>. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle<lb/>
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le-<lb/>
bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken<lb/>
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge-<lb/>
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be-<lb/>
deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein<lb/>
ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und<lb/>
aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der<lb/>
tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer<lb/>
allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei<lb/>
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich<lb/>
ihn gab: nur Bitteres ſollte <hirendition="#g">gar</hi> nicht drunter ſein; du Engel,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[394/0402]
An Varnhagen.
(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833.
eröffnet.)
Frankfurt a. M. den 24. April 1816.
Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn
du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe,
und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige
Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-
nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei-
nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im-
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich
ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei-
nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend-
lich. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le-
bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge-
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be-
deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein
ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und
aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der
tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer
allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich
ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/402>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.