Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Varnhagen.

(Versiegelt vorgefunden und erst nach dem 7. März 1833.
eröffnet.)


Theuerster armer August! Könnt' ich dich trösten, wenn
du dies liest! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe,
und Beistand, die noch wirken werden; durch hundertfältige
Gespräche, die wir hatten, über Dasein, und seine Gestalt im
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-
nen meines Willens, was mit meinen Besitzthümern nach mei-
nem Leben geschehen soll, sehr ruhig und ganz vergnügt. Im
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erschütterter als im-
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich
sehr, als ich von meinem alten Sopha sprach; und von mei-
nem Perlenring. Auf dem ersten starb Papa, litt ich unend-
lich
. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geistes-, alle
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angst des Le-
bens; den Rest von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich schon dunkel aber ge-
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erschien mir die Be-
deutung, das Aussehen des Ringes meinem innren Dasein
ähnlich. Unschuldig, jung, edlen Ansehens, und vornehm, und
aparte, und auch wie verzaubert, ganz einsam, und in der
tiefsten Tiefe wieder freudig und putzhaft-festlich, aber immer
allein. Da dacht' ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich
ihn gab: nur Bitteres sollte gar nicht drunter sein; du Engel,

An Varnhagen.

(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833.
eröffnet.)


Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn
du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe,
und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige
Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-
nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei-
nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im-
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich
ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei-
nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend-
lich
. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le-
bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge-
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be-
deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein
ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und
aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der
tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer
allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich
ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0402" n="394"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen.</head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">(Ver&#x017F;iegelt vorgefunden und er&#x017F;t nach dem 7. März 1833.<lb/>
eröffnet.)</hi> </p><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M. den 24. April 1816.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Theuer&#x017F;ter armer Augu&#x017F;t! Könnt&#x2019; ich dich trö&#x017F;ten, wenn<lb/>
du dies lie&#x017F;t! Aber ich kann es und thue es: durch <hi rendition="#g">Liebe</hi>,<lb/>
und Bei&#x017F;tand, die noch wirken werden; durch hundertfältige<lb/>
Ge&#x017F;präche, die wir hatten, über Da&#x017F;ein, und &#x017F;eine Ge&#x017F;talt im<lb/>
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-<lb/>
nen meines Willens, was mit meinen Be&#x017F;itzthümern nach mei-<lb/>
nem Leben ge&#x017F;chehen &#x017F;oll, &#x017F;ehr ruhig und ganz vergnügt. Im<lb/>
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht er&#x017F;chütterter als im-<lb/>
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich<lb/>
&#x017F;ehr, als ich von meinem alten Sopha &#x017F;prach; und von mei-<lb/>
nem Perlenring. Auf dem er&#x017F;ten &#x017F;tarb Papa, litt ich <hi rendition="#g">unend-<lb/>
lich</hi>. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Gei&#x017F;tes-, alle<lb/>
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Ang&#x017F;t des Le-<lb/>
bens; den Re&#x017F;t von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken<lb/>
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich &#x017F;chon dunkel aber ge-<lb/>
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da er&#x017F;chien mir die Be-<lb/>
deutung, das Aus&#x017F;ehen des Ringes meinem innren Da&#x017F;ein<lb/>
ähnlich. Un&#x017F;chuldig, jung, edlen An&#x017F;ehens, und vornehm, und<lb/>
aparte, und auch wie verzaubert, ganz ein&#x017F;am, und in der<lb/>
tief&#x017F;ten Tiefe wieder freudig und putzhaft-fe&#x017F;tlich, aber immer<lb/>
allein. Da dacht&#x2019; ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei<lb/>
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich<lb/>
ihn gab: nur Bitteres &#x017F;ollte <hi rendition="#g">gar</hi> nicht drunter &#x017F;ein; du Engel,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0402] An Varnhagen. (Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833. eröffnet.) Frankfurt a. M. den 24. April 1816. Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe, und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich- nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei- nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im- mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei- nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend- lich. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le- bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge- wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be- deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/402
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/402>, abgerufen am 03.12.2024.