unserm Karakter, dies bei allen Menschen und bei uns beson- ders. Wir sind beide im Innern und allen Neigungen, die sich alle auf physische Anlagen gründen, die bei uns prononcirt und kräftig angelegt sind, sehr bestimmt, haben aber nicht Härte oder Kraft genug, nach diesen Anlagen, eben weil sie reich, vielfältig und versatil sind, zu handeln: und berücksich- tigen Andere, und manchen Augenblick zu sehr, wobei wir die starke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie- ren. Dies muß zur Folterbank führen; was soll ich's noch ausmahlen, und nach Modifikationen stellen. Unser Verstand, Einsicht, Weltkenntniß, sind Laternen, die uns unsere Schmach beleuchten. Unsere Laune, unser Finden in Men- schen, und Ereignisse, Umgebungen: Profit und Unterhaltung- und Bequemlichkeit für die Andern. Unser endliches Auffah- ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar nichts merkten, weil sie eben dadurch genossen, wird uns dann für Unsinn und Inkonsequenz ausgelegt. Auch enthalte ich es mir immer mehr, und schreie mit Blick und Gedanken zu Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und Amüsement bereit, und da. Am meisten kränkt es mich, nicht mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön- nen, im neuen Lokal nichts Entschädigendes zu finden, wel- ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und auch dieses Missen muß ich preisen, da es Glückstitel trägt. Varnhagen darf ich's wie einem andern Freunde, nicht merken lassen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine seiner Verpflichtungen, ja für seine größte, ansieht, und außer Fassung geräth, wenn er nur irgend etwas davon merkt.
unſerm Karakter, dies bei allen Menſchen und bei uns beſon- ders. Wir ſind beide im Innern und allen Neigungen, die ſich alle auf phyſiſche Anlagen gründen, die bei uns prononcirt und kräftig angelegt ſind, ſehr beſtimmt, haben aber nicht Härte oder Kraft genug, nach dieſen Anlagen, eben weil ſie reich, vielfältig und verſatil ſind, zu handeln: und berückſich- tigen Andere, und manchen Augenblick zu ſehr, wobei wir die ſtarke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie- ren. Dies muß zur Folterbank führen; was ſoll ich’s noch ausmahlen, und nach Modifikationen ſtellen. Unſer Verſtand, Einſicht, Weltkenntniß, ſind Laternen, die uns unſere Schmach beleuchten. Unſere Laune, unſer Finden in Men- ſchen, und Ereigniſſe, Umgebungen: Profit und Unterhaltung- und Bequemlichkeit für die Andern. Unſer endliches Auffah- ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar nichts merkten, weil ſie eben dadurch genoſſen, wird uns dann für Unſinn und Inkonſequenz ausgelegt. Auch enthalte ich es mir immer mehr, und ſchreie mit Blick und Gedanken zu Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und Amüſement bereit, und da. Am meiſten kränkt es mich, nicht mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön- nen, im neuen Lokal nichts Entſchädigendes zu finden, wel- ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und auch dieſes Miſſen muß ich preiſen, da es Glückstitel trägt. Varnhagen darf ich’s wie einem andern Freunde, nicht merken laſſen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine ſeiner Verpflichtungen, ja für ſeine größte, anſieht, und außer Faſſung geräth, wenn er nur irgend etwas davon merkt.
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unſerm Karakter, dies bei allen Menſchen und bei uns beſon-
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und kräftig angelegt ſind, ſehr beſtimmt, haben aber nicht
Härte oder Kraft genug, nach dieſen Anlagen, eben weil ſie
reich, vielfältig und verſatil ſind, zu handeln: und berückſich-
tigen Andere, und manchen Augenblick zu ſehr, wobei wir
die ſtarke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie-
ren. Dies muß zur Folterbank führen; was ſoll ich’s noch
ausmahlen, und nach Modifikationen ſtellen. Unſer Verſtand,
Einſicht, Weltkenntniß, ſind Laternen, die uns unſere
Schmach beleuchten. Unſere Laune, unſer Finden in Men-
ſchen, und Ereigniſſe, Umgebungen: Profit und Unterhaltung-
und Bequemlichkeit für die Andern. Unſer endliches Auffah-
ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar
nichts merkten, weil ſie eben dadurch genoſſen, wird uns dann
für Unſinn und Inkonſequenz ausgelegt. Auch enthalte ich
es mir immer mehr, und ſchreie mit Blick und Gedanken zu
Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und
Amüſement bereit, und da. Am meiſten kränkt es mich, nicht
mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön-
nen, im neuen Lokal nichts Entſchädigendes zu finden, wel-
ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und
auch dieſes Miſſen muß ich preiſen, da es Glückstitel trägt.
Varnhagen darf ich’s wie einem andern Freunde, nicht merken
laſſen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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