nicht; und ich muß es thun: zu suchen thun. Schrecke, unan- genehme, peinigende, ärgernde Nachricht, große Kriegesnach- richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan- genheit so versetzte, mir ihre geträumte Zukunft so hervor- rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, fast ohne Zusammenhang mit ihrem alten Sein ist) kurz, sie plötzlich und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig, gedankenreich war, sollst du selbst beurtheilen. Wisse nur! -- und dir wird es wohl eben so gehen, das höre ich schon; -- ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächsten lieb und heilsam ist, so abgekommen von den tiefern, unerläßlichen, unveränderlichen Wünschen und Forderungen meiner Natur; daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerschütterli- ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief, wo die Naturen sich schon ähnlich sind, ein Kammeradenbrief, die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn ich auch älter bin.) Abzuschreiben brauchte ich nur, was in deinem Brief steht, um dich mit Eins wissen zu lassen, wie es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens Betragen hat sich in nichts geändert, wie du es kennst, und durch einen Zauber, den ich nicht kenne, ist er verliebt in mich; und nur erfüllt von dem, was mir lieb sein könnte. Auch ist alles gut; -- und doch verstehe ich es, weil es mit mir eben so ist, daß du so verdrießliche Briefe schreiben kannst, worüber Ernestine sich wundert -- und doch so höchst unzufrieden sein kannst! -- Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von
nicht; und ich muß es thun: zu ſuchen thun. Schrecke, unan- genehme, peinigende, ärgernde Nachricht, große Kriegesnach- richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan- genheit ſo verſetzte, mir ihre geträumte Zukunft ſo hervor- rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, faſt ohne Zuſammenhang mit ihrem alten Sein iſt) kurz, ſie plötzlich und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig, gedankenreich war, ſollſt du ſelbſt beurtheilen. Wiſſe nur! — und dir wird es wohl eben ſo gehen, das höre ich ſchon; — ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächſten lieb und heilſam iſt, ſo abgekommen von den tiefern, unerläßlichen, unveränderlichen Wünſchen und Forderungen meiner Natur; daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerſchütterli- ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief, wo die Naturen ſich ſchon ähnlich ſind, ein Kammeradenbrief, die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn ich auch älter bin.) Abzuſchreiben brauchte ich nur, was in deinem Brief ſteht, um dich mit Eins wiſſen zu laſſen, wie es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens Betragen hat ſich in nichts geändert, wie du es kennſt, und durch einen Zauber, den ich nicht kenne, iſt er verliebt in mich; und nur erfüllt von dem, was mir lieb ſein könnte. Auch iſt alles gut; — und doch verſtehe ich es, weil es mit mir eben ſo iſt, daß du ſo verdrießliche Briefe ſchreiben kannſt, worüber Erneſtine ſich wundert — und doch ſo höchſt unzufrieden ſein kannſt! — Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von
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nicht; und ich muß es thun: zu ſuchen thun. Schrecke, unan-
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richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der
Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan-
genheit ſo verſetzte, mir ihre geträumte Zukunft ſo hervor-
rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, faſt ohne
Zuſammenhang mit ihrem alten Sein iſt) kurz, ſie plötzlich
und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig,
gedankenreich war, ſollſt du ſelbſt beurtheilen. Wiſſe nur! —
und dir wird es wohl eben ſo gehen, das höre ich ſchon; —
ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächſten lieb
und heilſam iſt, ſo abgekommen von den tiefern, unerläßlichen,
unveränderlichen Wünſchen und Forderungen meiner Natur;
daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerſchütterli-
ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein
Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief,
wo die Naturen ſich ſchon ähnlich ſind, ein Kammeradenbrief,
die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn
ich auch älter bin.) Abzuſchreiben brauchte ich nur, was in
deinem Brief ſteht, um dich mit Eins wiſſen zu laſſen, wie
es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens
Betragen hat ſich in nichts geändert, wie du es kennſt, und
durch einen Zauber, den ich nicht kenne, iſt er verliebt in mich;
und nur erfüllt von dem, was mir lieb ſein könnte. Auch iſt
alles gut; — und doch verſtehe ich es, weil es mit mir eben
ſo iſt, daß du ſo verdrießliche Briefe ſchreiben kannſt, worüber
Erneſtine ſich wundert — und doch ſo höchſt unzufrieden ſein
kannſt! — Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/381>, abgerufen am 25.11.2024.
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