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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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So hat mich denn die Tugend eingesperrt, und der liebe Gott
leidet's: ich bin also muks-still. So, auf solche Weise, war's
ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes
machen, und müßte es noch Einmal so machen, wiederholte
sich die Lage. Was nicht schön ist, kam noch obenein hinzu.
Eben so gut hätte ich dir einen lustigen Brief, und ich bewies
es schon, schreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen,
in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal
den innern Quell von deinem Brief erschlossen rein aus dem
selten geöffneten Herzen springen lassen! Sprechen wäre frei-
lich noch besser, aber ich bin nun nicht so glücklich! Es kann
kommen. Wie alles! Alles ist möglich. Am meisten verdrießt
mich, daß du mir sagst "so ein Jährchen setze sich nicht in
die Kleider!" werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt.
Meiner ist ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße
Haare, sehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich
möchte ich gerne so alt vorstellen als ich bin: das kann ich
nicht, weil ich so bedeutend jünger aussehe und es immer er-
klären müßte; wenigstens oft; und dann, weil ich einen jun-
gen mich so sehr liebenden Mann habe. Komischers giebt's
nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schicksal, dankbar
bin ich auch. Künftig schreibe ich dir von meinen wenigen
Bekannten. -- Das Berliner Theater habe ich aufgegeben.
Devrient möcht' ich sehen! Laß dir von Theodor meine fünf
letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen schrieb ich es ihm auch; und
diesen Brief sollst du auch lesen. Wenn du einen Rest Liebe
für mich hast, schreibe mir oft: es ist mein bester Trost, und
Lebensfaden; nun ich einmal diesen Brief aus dem Herzen

So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott
leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s
ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes
machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte
ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu.
Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies
es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen,
in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal
den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem
ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei-
lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann
kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt
mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in
die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt.
Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße
Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich
möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich
nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er-
klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun-
gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s
nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar
bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen
Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben.
Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf
letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und
dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe
für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und
Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen

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[375/0383] So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu. Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen, in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei- lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt. Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er- klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun- gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben. Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/383>, abgerufen am 27.04.2024.