Kurz, worin das Herz dumm ist, darin ist man selbst dumm. Und glaube mir, Freundin, mein Herz ist anders; und so ver- stehe ich auch, immer von neuem, diese Sorte nicht; trotz des Wissens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe, hat er sich geirrt. Das schrieb ich ihm auch, -- und ließ es ihm von seinem Kammerdiener im ersten Nachtlager abgeben, -- lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So ist's auch; und bleibt's Es war ein sehr schöner Brief; den er auch nicht verstehen wird, wie ich ihn verstehe; aber ich habe ihn aus Bedürfniß geschrieben, und aus Rechtfertigung. Ich will damit gerechtfertigt wissen die Möglichkeit der Behand- lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir ist, zu applaudiren und Liebe zu gestehn, zu äußern, wenn ich sie fühle, wie dem im tiefsten Italien Gebornen Bedürfniß: und eine Äußerung, die immer da ist, ehe ich sie bedenke, zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein Herz gegen ihn, so ist's mir's unerträglich, und Last, wie die größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn ich jemanden nicht mehr liebe wie sonst, ihm nichts zutraue, ihm abdingen muß, so ist die ganze Rache in Erfüllung: und ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier hast du mein tiefstes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus- sprach. Ich schrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver- liebt; aber wie atterrirt wäre ich, schriebe mir Einer so, dar- auf vermuthete ich alles, was sich nur ereignen will. -- -- Dir wandelt Gentz, sagst du mir, nur wie ein Traum der
Kurz, worin das Herz dumm iſt, darin iſt man ſelbſt dumm. Und glaube mir, Freundin, mein Herz iſt anders; und ſo ver- ſtehe ich auch, immer von neuem, dieſe Sorte nicht; trotz des Wiſſens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe, hat er ſich geirrt. Das ſchrieb ich ihm auch, — und ließ es ihm von ſeinem Kammerdiener im erſten Nachtlager abgeben, — lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So iſt’s auch; und bleibt’s Es war ein ſehr ſchöner Brief; den er auch nicht verſtehen wird, wie ich ihn verſtehe; aber ich habe ihn aus Bedürfniß geſchrieben, und aus Rechtfertigung. Ich will damit gerechtfertigt wiſſen die Möglichkeit der Behand- lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir iſt, zu applaudiren und Liebe zu geſtehn, zu äußern, wenn ich ſie fühle, wie dem im tiefſten Italien Gebornen Bedürfniß: und eine Äußerung, die immer da iſt, ehe ich ſie bedenke, zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein Herz gegen ihn, ſo iſt’s mir’s unerträglich, und Laſt, wie die größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn ich jemanden nicht mehr liebe wie ſonſt, ihm nichts zutraue, ihm abdingen muß, ſo iſt die ganze Rache in Erfüllung: und ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier haſt du mein tiefſtes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus- ſprach. Ich ſchrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver- liebt; aber wie atterrirt wäre ich, ſchriebe mir Einer ſo, dar- auf vermuthete ich alles, was ſich nur ereignen will. — — Dir wandelt Gentz, ſagſt du mir, nur wie ein Traum der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0161"n="153"/>
Kurz, worin das Herz dumm iſt, darin iſt man ſelbſt dumm.<lb/>
Und glaube mir, Freundin, mein Herz iſt anders; und ſo ver-<lb/>ſtehe ich auch, immer von neuem, dieſe Sorte nicht; trotz des<lb/>
Wiſſens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe,<lb/>
hat er ſich geirrt. Das ſchrieb ich ihm auch, — und ließ es<lb/>
ihm von ſeinem Kammerdiener im erſten Nachtlager abgeben, —<lb/>
lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So iſt’s<lb/>
auch; und bleibt’s Es war ein ſehr ſchöner Brief; den er<lb/>
auch nicht verſtehen wird, wie ich ihn verſtehe; aber ich habe<lb/>
ihn aus Bedürfniß geſchrieben, und aus Rechtfertigung. Ich<lb/>
will damit gerechtfertigt wiſſen die Möglichkeit der Behand-<lb/>
lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir iſt,<lb/>
zu applaudiren und Liebe zu geſtehn, zu äußern, wenn ich<lb/>ſie fühle, wie dem im tiefſten Italien Gebornen Bedürfniß:<lb/>
und eine Äußerung, die immer da iſt, ehe ich ſie bedenke,<lb/>
zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein<lb/>
Herz gegen ihn, ſo iſt’s mir’s unerträglich, und Laſt, wie die<lb/>
größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum<lb/>
allein auch bedarf ich nie der Rache, <hirendition="#g">kann</hi> ich mich nicht<lb/>
rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn<lb/>
ich jemanden nicht mehr <hirendition="#g">liebe</hi> wie ſonſt, ihm nichts zutraue,<lb/>
ihm abdingen muß, ſo iſt die ganze Rache in Erfüllung: und<lb/>
ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier haſt du<lb/>
mein tiefſtes Herz: einen Theil davon, den ich noch <hirendition="#g">nie</hi> aus-<lb/>ſprach. Ich ſchrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver-<lb/>
liebt; aber wie atterrirt wäre <hirendition="#g">ich</hi>, ſchriebe mir Einer ſo, dar-<lb/>
auf vermuthete ich alles, was ſich nur ereignen will. ——<lb/>
Dir wandelt Gentz, ſagſt du mir, nur wie ein Traum der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[153/0161]
Kurz, worin das Herz dumm iſt, darin iſt man ſelbſt dumm.
Und glaube mir, Freundin, mein Herz iſt anders; und ſo ver-
ſtehe ich auch, immer von neuem, dieſe Sorte nicht; trotz des
Wiſſens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe,
hat er ſich geirrt. Das ſchrieb ich ihm auch, — und ließ es
ihm von ſeinem Kammerdiener im erſten Nachtlager abgeben, —
lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So iſt’s
auch; und bleibt’s Es war ein ſehr ſchöner Brief; den er
auch nicht verſtehen wird, wie ich ihn verſtehe; aber ich habe
ihn aus Bedürfniß geſchrieben, und aus Rechtfertigung. Ich
will damit gerechtfertigt wiſſen die Möglichkeit der Behand-
lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir iſt,
zu applaudiren und Liebe zu geſtehn, zu äußern, wenn ich
ſie fühle, wie dem im tiefſten Italien Gebornen Bedürfniß:
und eine Äußerung, die immer da iſt, ehe ich ſie bedenke,
zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein
Herz gegen ihn, ſo iſt’s mir’s unerträglich, und Laſt, wie die
größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum
allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht
rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn
ich jemanden nicht mehr liebe wie ſonſt, ihm nichts zutraue,
ihm abdingen muß, ſo iſt die ganze Rache in Erfüllung: und
ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier haſt du
mein tiefſtes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus-
ſprach. Ich ſchrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver-
liebt; aber wie atterrirt wäre ich, ſchriebe mir Einer ſo, dar-
auf vermuthete ich alles, was ſich nur ereignen will. — —
Dir wandelt Gentz, ſagſt du mir, nur wie ein Traum der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/161>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.