Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem sie geklagt,
duß es ihr auch den Kopf angreife, daß sie darin wie eine
Wolke fühle, lehnte sie sich zurück; eine Täuschung, daß Lin-
derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlöschen,
die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder
gelähmt! In diesem Zustande fanden sie die herbeigerufenen
Ärzte; sie versuchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein
der Nervenschlag, der sie getroffen hatte, machte jede Hülfe
vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtlosen Daliegens,
während dessen nur noch die Brust sich in gewaltsamen Zügen
regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der
Anblick, den ich kniend an ihrem Bette fast leblos aufnahm,
drückte sich glühend für ewig in mein Herz!

Wir starrten betäubt die entsetzliche Gewißheit an. Das
oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grausam überrascht;
nicht in dieser Woche, nicht an diesem Tage, selbst in der
letzten Stunde noch nicht, hatten wir diese Wendung erwarten
dürfen, denn bevor der Nervenschlag hinzutrat, war kein Zei-
chen schlimmer und bedenklicher, als bei den vor sechs Tagen
erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem
Kampfe, wieder nachgelassen hatten. So entschwand uns die
Theure ohne Wort und Blick des Abschieds, aber auch, wir
dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne
Bewußtsein des Scheidens!

Eine seltne Theilnahme in allen Klassen wurde durch die
Nachricht dieses Trauerfalles erregt, in den höchsten wie in
den untersten Kreisen zeigte sich tiefes, herzliches Bedauern

und

terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem ſie geklagt,
duß es ihr auch den Kopf angreife, daß ſie darin wie eine
Wolke fühle, lehnte ſie ſich zurück; eine Täuſchung, daß Lin-
derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlöſchen,
die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder
gelähmt! In dieſem Zuſtande fanden ſie die herbeigerufenen
Ärzte; ſie verſuchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein
der Nervenſchlag, der ſie getroffen hatte, machte jede Hülfe
vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtloſen Daliegens,
während deſſen nur noch die Bruſt ſich in gewaltſamen Zügen
regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der
Anblick, den ich kniend an ihrem Bette faſt leblos aufnahm,
drückte ſich glühend für ewig in mein Herz!

Wir ſtarrten betäubt die entſetzliche Gewißheit an. Das
oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grauſam überraſcht;
nicht in dieſer Woche, nicht an dieſem Tage, ſelbſt in der
letzten Stunde noch nicht, hatten wir dieſe Wendung erwarten
dürfen, denn bevor der Nervenſchlag hinzutrat, war kein Zei-
chen ſchlimmer und bedenklicher, als bei den vor ſechs Tagen
erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem
Kampfe, wieder nachgelaſſen hatten. So entſchwand uns die
Theure ohne Wort und Blick des Abſchieds, aber auch, wir
dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne
Bewußtſein des Scheidens!

Eine ſeltne Theilnahme in allen Klaſſen wurde durch die
Nachricht dieſes Trauerfalles erregt, in den höchſten wie in
den unterſten Kreiſen zeigte ſich tiefes, herzliches Bedauern

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0062" n="48"/>
terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem &#x017F;ie geklagt,<lb/>
duß es ihr auch den Kopf angreife, daß &#x017F;ie darin wie eine<lb/>
Wolke fühle, lehnte &#x017F;ie &#x017F;ich zurück; eine Täu&#x017F;chung, daß Lin-<lb/>
derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlö&#x017F;chen,<lb/>
die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder<lb/>
gelähmt! In die&#x017F;em Zu&#x017F;tande fanden &#x017F;ie die herbeigerufenen<lb/>
Ärzte; &#x017F;ie ver&#x017F;uchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein<lb/>
der Nerven&#x017F;chlag, der &#x017F;ie getroffen hatte, machte jede Hülfe<lb/>
vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtlo&#x017F;en Daliegens,<lb/>
während de&#x017F;&#x017F;en nur noch die Bru&#x017F;t &#x017F;ich in gewalt&#x017F;amen Zügen<lb/>
regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der<lb/>
Anblick, den ich kniend an ihrem Bette fa&#x017F;t leblos aufnahm,<lb/>
drückte &#x017F;ich glühend für ewig in mein Herz!</p><lb/>
            <p>Wir &#x017F;tarrten betäubt die ent&#x017F;etzliche Gewißheit an. Das<lb/>
oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grau&#x017F;am überra&#x017F;cht;<lb/>
nicht in die&#x017F;er Woche, nicht an die&#x017F;em Tage, &#x017F;elb&#x017F;t in der<lb/>
letzten Stunde noch nicht, hatten wir die&#x017F;e Wendung erwarten<lb/>
dürfen, denn bevor der Nerven&#x017F;chlag hinzutrat, war kein Zei-<lb/>
chen &#x017F;chlimmer und bedenklicher, als bei den vor &#x017F;echs Tagen<lb/>
erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem<lb/>
Kampfe, wieder nachgela&#x017F;&#x017F;en hatten. So ent&#x017F;chwand uns die<lb/>
Theure ohne Wort und Blick des Ab&#x017F;chieds, aber auch, wir<lb/>
dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne<lb/>
Bewußt&#x017F;ein des Scheidens!</p><lb/>
            <p>Eine &#x017F;eltne Theilnahme in allen Kla&#x017F;&#x017F;en wurde durch die<lb/>
Nachricht die&#x017F;es Trauerfalles erregt, in den höch&#x017F;ten wie in<lb/>
den unter&#x017F;ten Krei&#x017F;en zeigte &#x017F;ich tiefes, herzliches Bedauern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0062] terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem ſie geklagt, duß es ihr auch den Kopf angreife, daß ſie darin wie eine Wolke fühle, lehnte ſie ſich zurück; eine Täuſchung, daß Lin- derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlöſchen, die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder gelähmt! In dieſem Zuſtande fanden ſie die herbeigerufenen Ärzte; ſie verſuchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein der Nervenſchlag, der ſie getroffen hatte, machte jede Hülfe vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtloſen Daliegens, während deſſen nur noch die Bruſt ſich in gewaltſamen Zügen regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der Anblick, den ich kniend an ihrem Bette faſt leblos aufnahm, drückte ſich glühend für ewig in mein Herz! Wir ſtarrten betäubt die entſetzliche Gewißheit an. Das oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grauſam überraſcht; nicht in dieſer Woche, nicht an dieſem Tage, ſelbſt in der letzten Stunde noch nicht, hatten wir dieſe Wendung erwarten dürfen, denn bevor der Nervenſchlag hinzutrat, war kein Zei- chen ſchlimmer und bedenklicher, als bei den vor ſechs Tagen erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem Kampfe, wieder nachgelaſſen hatten. So entſchwand uns die Theure ohne Wort und Blick des Abſchieds, aber auch, wir dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne Bewußtſein des Scheidens! Eine ſeltne Theilnahme in allen Klaſſen wurde durch die Nachricht dieſes Trauerfalles erregt, in den höchſten wie in den unterſten Kreiſen zeigte ſich tiefes, herzliches Bedauern und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/62
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/62>, abgerufen am 21.12.2024.