Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Belebung ihres Herzens bewies sich auch in den schmerzlichsten
Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Geschick
sie nur die Tiefe des Leidens sehen wollte, zu welchem der
Mensch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wissen,
was die Zeitungen von der unglücklichen Fürstin meldeten,
und hörte nicht auf, sie zu bedauern.

Ein Versuch aufzustehen und einige Schritte im Zimmer
zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und sie selbst wie
auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über-
haupt stimmten die Versicherungen der Ärzte, auch nicht-homöo-
pathischer, sämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr
jetzt nicht vorhanden, der ganze Zustand aber und seine fernere
Entwicklung dennoch mit größter Besorgniß zu betrachten sei.
Bald aber wurde bemerkt, daß der Ausschlag sich an Umfang
und Stärke gemindert zeige; doch schien ein freiwillig einge-
tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter-
haltung dieses Schweißes wurde angelegentlich empfohlen.
Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag besucht; der Bruder eben-
falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder
wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge-
halten, es habe sich nicht verschlimmert, und man wünsche
die Kranke ruhen zu lassen. Sie fragte einigemal nach ihm,
weil er ihr gesagt hatte, daß er noch wiederkommen würde,
doch hatte ihre Erwartung, ihn zu sehen, durchaus nichts Un-
gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf-
schub seiner Abreise melden ließ, kam noch am späten Abend
Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von

Belebung ihres Herzens bewies ſich auch in den ſchmerzlichſten
Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Geſchick
ſie nur die Tiefe des Leidens ſehen wollte, zu welchem der
Menſch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wiſſen,
was die Zeitungen von der unglücklichen Fürſtin meldeten,
und hörte nicht auf, ſie zu bedauern.

Ein Verſuch aufzuſtehen und einige Schritte im Zimmer
zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und ſie ſelbſt wie
auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über-
haupt ſtimmten die Verſicherungen der Ärzte, auch nicht-homöo-
pathiſcher, ſämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr
jetzt nicht vorhanden, der ganze Zuſtand aber und ſeine fernere
Entwicklung dennoch mit größter Beſorgniß zu betrachten ſei.
Bald aber wurde bemerkt, daß der Ausſchlag ſich an Umfang
und Stärke gemindert zeige; doch ſchien ein freiwillig einge-
tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter-
haltung dieſes Schweißes wurde angelegentlich empfohlen.
Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag beſucht; der Bruder eben-
falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder
wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge-
halten, es habe ſich nicht verſchlimmert, und man wünſche
die Kranke ruhen zu laſſen. Sie fragte einigemal nach ihm,
weil er ihr geſagt hatte, daß er noch wiederkommen würde,
doch hatte ihre Erwartung, ihn zu ſehen, durchaus nichts Un-
gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf-
ſchub ſeiner Abreiſe melden ließ, kam noch am ſpäten Abend
Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0060" n="46"/>
Belebung ihres Herzens bewies &#x017F;ich auch in den &#x017F;chmerzlich&#x017F;ten<lb/>
Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Ge&#x017F;chick<lb/>
&#x017F;ie nur die Tiefe des Leidens &#x017F;ehen wollte, zu welchem der<lb/>
Men&#x017F;ch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was die Zeitungen von der unglücklichen Für&#x017F;tin meldeten,<lb/>
und hörte nicht auf, &#x017F;ie zu bedauern.</p><lb/>
            <p>Ein Ver&#x017F;uch aufzu&#x017F;tehen und einige Schritte im Zimmer<lb/>
zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t wie<lb/>
auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über-<lb/>
haupt &#x017F;timmten die Ver&#x017F;icherungen der Ärzte, auch nicht-homöo-<lb/>
pathi&#x017F;cher, &#x017F;ämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr<lb/>
jetzt nicht vorhanden, der ganze Zu&#x017F;tand aber und &#x017F;eine fernere<lb/>
Entwicklung dennoch mit größter Be&#x017F;orgniß zu betrachten &#x017F;ei.<lb/>
Bald aber wurde bemerkt, daß der Aus&#x017F;chlag &#x017F;ich an Umfang<lb/>
und Stärke gemindert zeige; doch &#x017F;chien ein freiwillig einge-<lb/>
tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter-<lb/>
haltung die&#x017F;es Schweißes wurde angelegentlich empfohlen.<lb/>
Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag be&#x017F;ucht; der Bruder eben-<lb/>
falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder<lb/>
wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge-<lb/>
halten, es habe &#x017F;ich nicht ver&#x017F;chlimmert, und man wün&#x017F;che<lb/>
die Kranke ruhen zu la&#x017F;&#x017F;en. Sie fragte einigemal nach ihm,<lb/>
weil er ihr ge&#x017F;agt hatte, daß er noch wiederkommen würde,<lb/>
doch hatte ihre Erwartung, ihn zu &#x017F;ehen, durchaus nichts Un-<lb/>
gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf-<lb/>
&#x017F;chub &#x017F;einer Abrei&#x017F;e melden ließ, kam noch am &#x017F;päten Abend<lb/>
Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0060] Belebung ihres Herzens bewies ſich auch in den ſchmerzlichſten Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Geſchick ſie nur die Tiefe des Leidens ſehen wollte, zu welchem der Menſch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wiſſen, was die Zeitungen von der unglücklichen Fürſtin meldeten, und hörte nicht auf, ſie zu bedauern. Ein Verſuch aufzuſtehen und einige Schritte im Zimmer zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und ſie ſelbſt wie auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über- haupt ſtimmten die Verſicherungen der Ärzte, auch nicht-homöo- pathiſcher, ſämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr jetzt nicht vorhanden, der ganze Zuſtand aber und ſeine fernere Entwicklung dennoch mit größter Beſorgniß zu betrachten ſei. Bald aber wurde bemerkt, daß der Ausſchlag ſich an Umfang und Stärke gemindert zeige; doch ſchien ein freiwillig einge- tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter- haltung dieſes Schweißes wurde angelegentlich empfohlen. Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag beſucht; der Bruder eben- falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge- halten, es habe ſich nicht verſchlimmert, und man wünſche die Kranke ruhen zu laſſen. Sie fragte einigemal nach ihm, weil er ihr geſagt hatte, daß er noch wiederkommen würde, doch hatte ihre Erwartung, ihn zu ſehen, durchaus nichts Un- gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf- ſchub ſeiner Abreiſe melden ließ, kam noch am ſpäten Abend Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/60
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/60>, abgerufen am 30.12.2024.