so abgetragen freundlich; so nichts bezeichnend, so dürftig witzig: hier wo Sigurd hätte wallen machen sollen. Nein! Lieber will ich Silbenmaße und Prosodie studiren, und dann eine schreiben: die soll das ungerüttelte Publikum gewiß rütt- len. Verzeihen Sie der Freudeverderberin! -- Apropos, Achim Arnim und Brentano sind hier: ich habe sie auf der Straße gesehen. -- Ich bekomme doch alles von Ihnen was gedruckt ist? Sie wissen, daß ich's verdiene. Leben Sie wohl. Schrei- ben Sie mir! -- was und wie es Ihnen durch den Kopf geht. Sie schreiben es einer treuen Seele, keinem stumpfen Geiste; einer wahren Freundin. Und kommen Sie ja zum oder im Winter zu uns!
Ihre gute gute Freundin. Rahel.
An Rose, in Amsterdam.
Berlin, im Oktober 1809.
Liebe Rose, bleibe gesund! Ich bin es noch; und erschöpft, oder vielmehr Gedanken und Schmerz stocken jetzt in mir. Ich sitze in Mamaens Haus neben Robert und schreibe, die Kousine kämmt sich, Bunim geht die Stube auf und ab. Ich habe einen grauen taftenen Wattenrock an, einen gelben Strohhut mit schwarzem Flor. Diese Details zur Beruhigung, daß du siehst, wie alles hier ist. Mama wußte nicht, daß sie gefähr- lich ist, oder wenigstens verbarg es uns so gut, daß wir ihr nichts anmerkten. Sie sagte Donnerstag noch: "Ich tausche nicht mit der Königin, die ist nicht so glücklich, als ich." So fühlte sie ihre Pflege und Aufwartung. Giebt es einen Trost in solchem Schmerz, so wird meiner auch deiner sein, daß ein
ſo abgetragen freundlich; ſo nichts bezeichnend, ſo dürftig witzig: hier wo Sigurd hätte wallen machen ſollen. Nein! Lieber will ich Silbenmaße und Proſodie ſtudiren, und dann eine ſchreiben: die ſoll das ungerüttelte Publikum gewiß rütt- len. Verzeihen Sie der Freudeverderberin! — Apropos, Achim Arnim und Brentano ſind hier: ich habe ſie auf der Straße geſehen. — Ich bekomme doch alles von Ihnen was gedruckt iſt? Sie wiſſen, daß ich’s verdiene. Leben Sie wohl. Schrei- ben Sie mir! — was und wie es Ihnen durch den Kopf geht. Sie ſchreiben es einer treuen Seele, keinem ſtumpfen Geiſte; einer wahren Freundin. Und kommen Sie ja zum oder im Winter zu uns!
Ihre gute gute Freundin. Rahel.
An Roſe, in Amſterdam.
Berlin, im Oktober 1809.
Liebe Roſe, bleibe geſund! Ich bin es noch; und erſchöpft, oder vielmehr Gedanken und Schmerz ſtocken jetzt in mir. Ich ſitze in Mamaens Haus neben Robert und ſchreibe, die Kouſine kämmt ſich, Bunim geht die Stube auf und ab. Ich habe einen grauen taftenen Wattenrock an, einen gelben Strohhut mit ſchwarzem Flor. Dieſe Details zur Beruhigung, daß du ſiehſt, wie alles hier iſt. Mama wußte nicht, daß ſie gefähr- lich iſt, oder wenigſtens verbarg es uns ſo gut, daß wir ihr nichts anmerkten. Sie ſagte Donnerstag noch: „Ich tauſche nicht mit der Königin, die iſt nicht ſo glücklich, als ich.“ So fühlte ſie ihre Pflege und Aufwartung. Giebt es einen Troſt in ſolchem Schmerz, ſo wird meiner auch deiner ſein, daß ein
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[442/0456]
ſo abgetragen freundlich; ſo nichts bezeichnend, ſo dürftig
witzig: hier wo Sigurd hätte wallen machen ſollen. Nein!
Lieber will ich Silbenmaße und Proſodie ſtudiren, und dann
eine ſchreiben: die ſoll das ungerüttelte Publikum gewiß rütt-
len. Verzeihen Sie der Freudeverderberin! — Apropos, Achim
Arnim und Brentano ſind hier: ich habe ſie auf der Straße
geſehen. — Ich bekomme doch alles von Ihnen was gedruckt
iſt? Sie wiſſen, daß ich’s verdiene. Leben Sie wohl. Schrei-
ben Sie mir! — was und wie es Ihnen durch den Kopf geht.
Sie ſchreiben es einer treuen Seele, keinem ſtumpfen Geiſte;
einer wahren Freundin. Und kommen Sie ja zum oder im
Winter zu uns!
Ihre gute gute Freundin. Rahel.
An Roſe, in Amſterdam.
Berlin, im Oktober 1809.
Liebe Roſe, bleibe geſund! Ich bin es noch; und erſchöpft,
oder vielmehr Gedanken und Schmerz ſtocken jetzt in mir. Ich
ſitze in Mamaens Haus neben Robert und ſchreibe, die Kouſine
kämmt ſich, Bunim geht die Stube auf und ab. Ich habe
einen grauen taftenen Wattenrock an, einen gelben Strohhut
mit ſchwarzem Flor. Dieſe Details zur Beruhigung, daß du
ſiehſt, wie alles hier iſt. Mama wußte nicht, daß ſie gefähr-
lich iſt, oder wenigſtens verbarg es uns ſo gut, daß wir ihr
nichts anmerkten. Sie ſagte Donnerstag noch: „Ich tauſche
nicht mit der Königin, die iſt nicht ſo glücklich, als ich.“ So
fühlte ſie ihre Pflege und Aufwartung. Giebt es einen Troſt
in ſolchem Schmerz, ſo wird meiner auch deiner ſein, daß ein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/456>, abgerufen am 23.11.2024.
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