welche harte Thräne löst sich los! Ich will weiter. Es wäre ja keine Tragödie, wenn ich nicht wider meine Natur handlen müßte; und es soll ja unwidersprechlich eine sein. Nun stille! Nur der kann Unglück haben, der einsehen kann, wie so es welches ist; so bist du: so bin ich: wo sollten andere Geschöpfe dazu kommen, "recht unglücklich" zu sein? Trennung ist Tod; und weiter lebt die Welt! was ist nur seit deinem Briefe von diesen Morgen vorgefallen! Viel sprach ich mit der Gu- ten: die Bethmann und Liman ließen sich zum Abend melden: ich nahm sie an; und schrieb Humboldt scherzhaft auch zu kommen; bekam Geschäfts- und galante Billette, wurde um Rath gefragt in Geschäften; antwortete, aß, wollte schlafen. Las Familienbriefe. Nun schreibe ich dir. Jetzt erbreche ich wieder einen Brief von einer dir unbekannten Dame. Alles französisch, die Dame ist aus Paris; weiß aber deutsch. Ich hab's gelesen. Von Campan, dem ich morgen antworten will, habe ich auch einen unangenehmen Brief erhalten. Er ist schon wieder in Paris. Das ist mir lieb. Er will mir seinen mir sehr bekannten, bei ihm erzogenen Bedienten nach Frank- furt entgegen schicken. -- Er ist inspecteur des ponts et chaus- sees mit viertausend Livres Gehalt mehr: und geht eine zwan- zigjährige, naive, "innocente, un peu devote" Wittwe besu- chen, und heirathet sie, wenn sie will: zweiunddreißigtausend Livres Renten auf Gütern hat sie. Du siehst, der ist auch weg. Ich bin wie Fouque's Held, wie er den Berg hinauf geht. Alles fällt von mir ab. Ich habe eine Art freudiger Bosheit am Exceß. -- Schreibe mir, wenn es dir möglich und gemüthlich ist, zwing' und presse dich nicht dazu; ich werde
welche harte Thräne löſt ſich los! Ich will weiter. Es wäre ja keine Tragödie, wenn ich nicht wider meine Natur handlen müßte; und es ſoll ja unwiderſprechlich eine ſein. Nun ſtille! Nur der kann Unglück haben, der einſehen kann, wie ſo es welches iſt; ſo biſt du: ſo bin ich: wo ſollten andere Geſchöpfe dazu kommen, „recht unglücklich“ zu ſein? Trennung iſt Tod; und weiter lebt die Welt! was iſt nur ſeit deinem Briefe von dieſen Morgen vorgefallen! Viel ſprach ich mit der Gu- ten: die Bethmann und Liman ließen ſich zum Abend melden: ich nahm ſie an; und ſchrieb Humboldt ſcherzhaft auch zu kommen; bekam Geſchäfts- und galante Billette, wurde um Rath gefragt in Geſchäften; antwortete, aß, wollte ſchlafen. Las Familienbriefe. Nun ſchreibe ich dir. Jetzt erbreche ich wieder einen Brief von einer dir unbekannten Dame. Alles franzöſiſch, die Dame iſt aus Paris; weiß aber deutſch. Ich hab’s geleſen. Von Campan, dem ich morgen antworten will, habe ich auch einen unangenehmen Brief erhalten. Er iſt ſchon wieder in Paris. Das iſt mir lieb. Er will mir ſeinen mir ſehr bekannten, bei ihm erzogenen Bedienten nach Frank- furt entgegen ſchicken. — Er iſt inspecteur des ponts et chaus- sées mit viertauſend Livres Gehalt mehr: und geht eine zwan- zigjährige, naive, „innocente, un peu devote“ Wittwe beſu- chen, und heirathet ſie, wenn ſie will: zweiunddreißigtauſend Livres Renten auf Gütern hat ſie. Du ſiehſt, der iſt auch weg. Ich bin wie Fouqué’s Held, wie er den Berg hinauf geht. Alles fällt von mir ab. Ich habe eine Art freudiger Bosheit am Exceß. — Schreibe mir, wenn es dir möglich und gemüthlich iſt, zwing’ und preſſe dich nicht dazu; ich werde
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welche harte Thräne löſt ſich los! Ich will weiter. Es wäre
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Nur der kann Unglück haben, der einſehen kann, wie ſo es
welches iſt; ſo biſt du: ſo bin ich: wo ſollten andere Geſchöpfe
dazu kommen, „recht unglücklich“ zu ſein? Trennung iſt
Tod; und weiter lebt die Welt! was iſt nur ſeit deinem Briefe
von dieſen Morgen vorgefallen! Viel ſprach ich mit der Gu-
ten: die Bethmann und Liman ließen ſich zum Abend melden:
ich nahm ſie an; und ſchrieb Humboldt ſcherzhaft auch zu
kommen; bekam Geſchäfts- und galante Billette, wurde um
Rath gefragt in Geſchäften; antwortete, aß, wollte ſchlafen.
Las Familienbriefe. Nun ſchreibe ich dir. Jetzt erbreche ich
wieder einen Brief von einer dir unbekannten Dame. Alles
franzöſiſch, die Dame iſt aus Paris; weiß aber deutſch. Ich
hab’s geleſen. Von Campan, dem ich morgen antworten will,
habe ich auch einen unangenehmen Brief erhalten. Er iſt
ſchon wieder in Paris. Das iſt mir lieb. Er will mir ſeinen
mir ſehr bekannten, bei ihm erzogenen Bedienten nach Frank-
furt entgegen ſchicken. — Er iſt inspecteur des ponts et chaus-
sées mit viertauſend Livres Gehalt mehr: und geht eine zwan-
zigjährige, naive, „innocente, un peu devote“ Wittwe beſu-
chen, und heirathet ſie, wenn ſie will: zweiunddreißigtauſend
Livres Renten auf Gütern hat ſie. Du ſiehſt, der iſt auch
weg. Ich bin wie Fouqué’s Held, wie er den Berg hinauf
geht. Alles fällt von mir ab. Ich habe eine Art freudiger
Bosheit am Exceß. — Schreibe mir, wenn es dir möglich und
gemüthlich iſt, zwing’ und preſſe dich nicht dazu; ich werde
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/428>, abgerufen am 26.11.2024.
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