wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch, daß er im geheimen Herzen dir meist selbst unbekannt bleiben wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirst. Hätte ich dir gleich geschrieben, armer lieber unseliger Freund, es wäre sanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz: jetzt ist mein Herz nur gedrückt und böse. Armer! auch nur so viel Schmerz, als ein Brief lang ist: ist gräßlich, und um die Existenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er- hebung, und süßeren Schmerz, ja wie erlähmend ist das Un- glück eines Andern, nicht unser eigenes, zu durchdringen! Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens! Von mir ist die Rede nicht mehr: "Mit mir ist's aus, mit mir hat's ein End, Ich bin Husar unterm Leibregiment!" hundert- und hundertmal hab' ich mir das seit Leipzig gesagt. Du hast also Abschied von mir genommen, und auch von dir soll ich getrennt sein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte ich: nie leider dachte ich's mir anders, und als es außer mir als Sentenz dastand, ärgerte es mich. Laß mich dies und kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid zu spinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun es thut's, wo es kann. Was soll, was habe ich dir nach diesem Abschied noch zu schreiben? Jeder muß sich von neuem wieder eine Existenz suchen. O! Gott, bei allem Geiste, den ich habe, auch ich bin nicht gemacht, "im Glückstopf nach eit- len Gütern dieser Welt zu greifen", und von neuem immer dazu verdammt, gestoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!
wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch, daß er im geheimen Herzen dir meiſt ſelbſt unbekannt bleiben wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirſt. Hätte ich dir gleich geſchrieben, armer lieber unſeliger Freund, es wäre ſanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz: jetzt iſt mein Herz nur gedrückt und böſe. Armer! auch nur ſo viel Schmerz, als ein Brief lang iſt: iſt gräßlich, und um die Exiſtenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er- hebung, und ſüßeren Schmerz, ja wie erlähmend iſt das Un- glück eines Andern, nicht unſer eigenes, zu durchdringen! Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens! Von mir iſt die Rede nicht mehr: „Mit mir iſt’s aus, mit mir hat’s ein End, Ich bin Huſar unterm Leibregiment!“ hundert- und hundertmal hab’ ich mir das ſeit Leipzig geſagt. Du haſt alſo Abſchied von mir genommen, und auch von dir ſoll ich getrennt ſein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte ich: nie leider dachte ich’s mir anders, und als es außer mir als Sentenz daſtand, ärgerte es mich. Laß mich dies und kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid zu ſpinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun es thut’s, wo es kann. Was ſoll, was habe ich dir nach dieſem Abſchied noch zu ſchreiben? Jeder muß ſich von neuem wieder eine Exiſtenz ſuchen. O! Gott, bei allem Geiſte, den ich habe, auch ich bin nicht gemacht, „im Glückstopf nach eit- len Gütern dieſer Welt zu greifen“, und von neuem immer dazu verdammt, geſtoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0427"n="413"/>
wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch,<lb/>
daß er im geheimen Herzen dir meiſt ſelbſt unbekannt bleiben<lb/>
wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirſt.<lb/>
Hätte ich dir gleich geſchrieben, armer lieber unſeliger Freund, es<lb/>
wäre ſanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz:<lb/>
jetzt iſt mein Herz nur gedrückt und böſe. Armer! auch nur<lb/>ſo viel Schmerz, als ein Brief lang iſt: iſt gräßlich, und um<lb/>
die Exiſtenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er-<lb/>
hebung, und ſüßeren Schmerz, ja wie erlähmend iſt das Un-<lb/>
glück eines <hirendition="#g">Andern</hi>, nicht unſer eigenes, zu durchdringen!<lb/>
Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens!<lb/>
Von mir iſt die Rede nicht mehr: „Mit mir iſt’s aus, mit<lb/>
mir hat’s ein End, Ich bin Huſar unterm Leibregiment!“<lb/>
hundert- und hundertmal hab’ ich mir das ſeit Leipzig geſagt.<lb/>
Du haſt alſo Abſchied von mir genommen, und auch von dir<lb/>ſoll ich getrennt ſein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder<lb/>
ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte<lb/>
ich: nie leider dachte ich’s mir anders, und als es außer mir<lb/>
als Sentenz daſtand, ärgerte es mich. Laß mich dies und<lb/>
kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid<lb/>
zu ſpinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun<lb/>
es thut’s, wo es kann. Was ſoll, was habe ich dir nach<lb/>
dieſem Abſchied noch zu ſchreiben? Jeder muß ſich von neuem<lb/>
wieder eine Exiſtenz ſuchen. O! Gott, bei allem Geiſte, den<lb/>
ich habe, auch ich bin nicht gemacht, „im Glückstopf nach eit-<lb/>
len Gütern dieſer Welt zu greifen“, und von neuem immer dazu<lb/>
verdammt, geſtoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich<lb/>
unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[413/0427]
wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch,
daß er im geheimen Herzen dir meiſt ſelbſt unbekannt bleiben
wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirſt.
Hätte ich dir gleich geſchrieben, armer lieber unſeliger Freund, es
wäre ſanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz:
jetzt iſt mein Herz nur gedrückt und böſe. Armer! auch nur
ſo viel Schmerz, als ein Brief lang iſt: iſt gräßlich, und um
die Exiſtenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er-
hebung, und ſüßeren Schmerz, ja wie erlähmend iſt das Un-
glück eines Andern, nicht unſer eigenes, zu durchdringen!
Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens!
Von mir iſt die Rede nicht mehr: „Mit mir iſt’s aus, mit
mir hat’s ein End, Ich bin Huſar unterm Leibregiment!“
hundert- und hundertmal hab’ ich mir das ſeit Leipzig geſagt.
Du haſt alſo Abſchied von mir genommen, und auch von dir
ſoll ich getrennt ſein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder
ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte
ich: nie leider dachte ich’s mir anders, und als es außer mir
als Sentenz daſtand, ärgerte es mich. Laß mich dies und
kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid
zu ſpinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun
es thut’s, wo es kann. Was ſoll, was habe ich dir nach
dieſem Abſchied noch zu ſchreiben? Jeder muß ſich von neuem
wieder eine Exiſtenz ſuchen. O! Gott, bei allem Geiſte, den
ich habe, auch ich bin nicht gemacht, „im Glückstopf nach eit-
len Gütern dieſer Welt zu greifen“, und von neuem immer dazu
verdammt, geſtoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich
unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/427>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.