Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

es schon verstehen. Ich werd' es auch so machen. Du weißt
wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie
zu schreiben. Kann ich weg, so sag' ich dir's. Gott verlass'
uns nicht. Das Ende des Briefs schmerzt mich unnatürlich
sehr. Adieu.

Rahel.

Mich störten ein Herr und eine Dame in Geschäften. Je-
der krabbelt und windet sich jetzt aus dem Schutt unseres
Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath
und That von mir. Der in allem zu Ärmsten! -- Hätte ich
nur eine Gegend!

R. L.


An Varnhagen, in Hamburg.


Lieber, Bester! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich
aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen
zu werden? Wenn du hier bist, will ich's glauben! Auch ich
vermag nicht mehr zu schreiben: nicht -- au pied de la lettre
-- die Feder (du siehst's) zu führen. -- Wenn du kommen
willst, komm so bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel
auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß
tausend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte
ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun ist aber Krieg. -- Schrift-
lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab' ich auch Har-
scher mit meinem muthlosen niedergelegten Herzen noch nicht
geschrieben. Aber daß wir ihn sehen sollen, mit ihm leben
sollen, gehört dazu. Sag' ihm das, und tausend Liebes von
mir. Das Leben ist so wüst, schwarz, unverständlich und zer-
rissen: und vor dem Tod sollte man sich willkürlich trennen! --


es ſchon verſtehen. Ich werd’ es auch ſo machen. Du weißt
wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie
zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag’ ich dir’s. Gott verlaſſ’
uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich
ſehr. Adieu.

Rahel.

Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je-
der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres
Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath
und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! — Hätte ich
nur eine Gegend!

R. L.


An Varnhagen, in Hamburg.


Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich
aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen
zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich
vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht — au pied de la lettre
— die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. — Wenn du kommen
willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel
auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß
tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte
ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. — Schrift-
lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab’ ich auch Har-
ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht
geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben
ſollen, gehört dazu. Sag’ ihm das, und tauſend Liebes von
mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer-
riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen! —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0429" n="415"/>
es &#x017F;chon ver&#x017F;tehen. Ich werd&#x2019; es auch &#x017F;o machen. Du weißt<lb/>
wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie<lb/>
zu &#x017F;chreiben. Kann ich weg, &#x017F;o &#x017F;ag&#x2019; ich dir&#x2019;s. Gott verla&#x017F;&#x017F;&#x2019;<lb/>
uns nicht. Das Ende des Briefs &#x017F;chmerzt mich unnatürlich<lb/>
&#x017F;ehr. Adieu.</p>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Rahel.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <p>Mich &#x017F;törten ein Herr und eine Dame in Ge&#x017F;chäften. Je-<lb/>
der krabbelt und windet &#x017F;ich jetzt aus dem Schutt un&#x017F;eres<lb/>
Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath<lb/>
und That von mir. Der in allem zu Ärm&#x017F;ten! &#x2014; Hätte ich<lb/>
nur eine Gegend!</p>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">R. L.</hi> </salute>
            </closer>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Hamburg.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 14. April 1809.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Lieber, Be&#x017F;ter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich<lb/>
aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen<lb/>
zu werden? Wenn du hier bi&#x017F;t, will ich&#x2019;s glauben! Auch ich<lb/>
vermag nicht mehr zu &#x017F;chreiben: nicht &#x2014; <hi rendition="#aq">au pied de la lettre</hi><lb/>
&#x2014; die Feder (du &#x017F;ieh&#x017F;t&#x2019;s) zu führen. &#x2014; Wenn du kommen<lb/>
will&#x017F;t, komm <hi rendition="#g">&#x017F;o bald es nur geht</hi>. Ich bin wie der Vogel<lb/>
auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß<lb/>
tau&#x017F;end Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte<lb/>
ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun i&#x017F;t aber Krieg. &#x2014; Schrift-<lb/>
lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab&#x2019; ich auch Har-<lb/>
&#x017F;cher mit meinem muthlo&#x017F;en niedergelegten Herzen noch nicht<lb/>
ge&#x017F;chrieben. Aber daß wir ihn &#x017F;ehen &#x017F;ollen, mit ihm leben<lb/>
&#x017F;ollen, gehört dazu. Sag&#x2019; ihm das, und tau&#x017F;end Liebes von<lb/>
mir. Das Leben i&#x017F;t &#x017F;o wü&#x017F;t, &#x017F;chwarz, unver&#x017F;tändlich und zer-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en: und vor dem Tod &#x017F;ollte man &#x017F;ich willkürlich trennen! &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0429] es ſchon verſtehen. Ich werd’ es auch ſo machen. Du weißt wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag’ ich dir’s. Gott verlaſſ’ uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich ſehr. Adieu. Rahel. Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je- der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! — Hätte ich nur eine Gegend! R. L. An Varnhagen, in Hamburg. Freitag, den 14. April 1809. Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht — au pied de la lettre — die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. — Wenn du kommen willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. — Schrift- lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab’ ich auch Har- ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben ſollen, gehört dazu. Sag’ ihm das, und tauſend Liebes von mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer- riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/429
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/429>, abgerufen am 26.11.2024.