es schon verstehen. Ich werd' es auch so machen. Du weißt wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie zu schreiben. Kann ich weg, so sag' ich dir's. Gott verlass' uns nicht. Das Ende des Briefs schmerzt mich unnatürlich sehr. Adieu.
Rahel.
Mich störten ein Herr und eine Dame in Geschäften. Je- der krabbelt und windet sich jetzt aus dem Schutt unseres Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath und That von mir. Der in allem zu Ärmsten! -- Hätte ich nur eine Gegend!
R. L.
An Varnhagen, in Hamburg.
Freitag, den 14. April 1809.
Lieber, Bester! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen zu werden? Wenn du hier bist, will ich's glauben! Auch ich vermag nicht mehr zu schreiben: nicht -- au pied de la lettre -- die Feder (du siehst's) zu führen. -- Wenn du kommen willst, komm so bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß tausend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun ist aber Krieg. -- Schrift- lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab' ich auch Har- scher mit meinem muthlosen niedergelegten Herzen noch nicht geschrieben. Aber daß wir ihn sehen sollen, mit ihm leben sollen, gehört dazu. Sag' ihm das, und tausend Liebes von mir. Das Leben ist so wüst, schwarz, unverständlich und zer- rissen: und vor dem Tod sollte man sich willkürlich trennen! --
es ſchon verſtehen. Ich werd’ es auch ſo machen. Du weißt wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag’ ich dir’s. Gott verlaſſ’ uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich ſehr. Adieu.
Rahel.
Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je- der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! — Hätte ich nur eine Gegend!
R. L.
An Varnhagen, in Hamburg.
Freitag, den 14. April 1809.
Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht — au pied de la lettre — die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. — Wenn du kommen willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. — Schrift- lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab’ ich auch Har- ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben ſollen, gehört dazu. Sag’ ihm das, und tauſend Liebes von mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer- riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen! —
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es ſchon verſtehen. Ich werd’ es auch ſo machen. Du weißt
wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie
zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag’ ich dir’s. Gott verlaſſ’
uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich
ſehr. Adieu.
Rahel.
Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je-
der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres
Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath
und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! — Hätte ich
nur eine Gegend!
R. L.
An Varnhagen, in Hamburg.
Freitag, den 14. April 1809.
Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich
aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen
zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich
vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht — au pied de la lettre
— die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. — Wenn du kommen
willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel
auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß
tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte
ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. — Schrift-
lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab’ ich auch Har-
ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht
geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben
ſollen, gehört dazu. Sag’ ihm das, und tauſend Liebes von
mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer-
riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen! —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/429>, abgerufen am 26.11.2024.
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