Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die sich
keine Rechenschaft geben können, in der Liebe so blind Recht
haben: je gröber sie scheint; je mehr auf Äußeres, auf den
Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein!
Mündlich. Ich lasse deine Briefe Einmal drucken, und das
Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor-
theil. Adieu. Ich erliege. --

-- O! wäre ich steingesund, hätte Klima, Freunde; wahr-
lich, ich wollte das Beste anständig entbehren und vermissen.
So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge-
stoßen, die alle nichts sind, als fressender, verzehrender, per-
sonifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Gesundheits-
und Geisteszustand die Sorge, die elende, mir im innersten
Geiste verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel ist
die, der in seinem eignen Geiste auch ungewiß ist, und dem
wahrhaftig eigentlich alles, wenn er sich recht abfragt, egal
ist. --

-- Gegen 4 Uhr ging ich nach Hause essen; mit einer
großen hübschen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und
die Neumann lobt; die amüsirte ich sehr; dann legte ich mich
nieder; und schlief wirklich ein wenig ein: aber der unselige
zehnmal während meinem Fieber und meiner Genesung weg-
geschickte Baron Bielfeld -- unser letzter Gesandter in Kon-
stantinopel -- ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth,
ihm wieder abzusagen. Ich bemühte mich drei Viertelstunden
ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen,
daß die Nähterin sich schon wälzen wollte, und daß er sich

26 *

chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die ſich
keine Rechenſchaft geben können, in der Liebe ſo blind Recht
haben: je gröber ſie ſcheint; je mehr auf Äußeres, auf den
Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein!
Mündlich. Ich laſſe deine Briefe Einmal drucken, und das
Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor-
theil. Adieu. Ich erliege. —

— O! wäre ich ſteingeſund, hätte Klima, Freunde; wahr-
lich, ich wollte das Beſte anſtändig entbehren und vermiſſen.
So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge-
ſtoßen, die alle nichts ſind, als freſſender, verzehrender, per-
ſonifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Geſundheits-
und Geiſteszuſtand die Sorge, die elende, mir im innerſten
Geiſte verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel iſt
die, der in ſeinem eignen Geiſte auch ungewiß iſt, und dem
wahrhaftig eigentlich alles, wenn er ſich recht abfragt, egal
iſt. —

— Gegen 4 Uhr ging ich nach Hauſe eſſen; mit einer
großen hübſchen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und
die Neumann lobt; die amüſirte ich ſehr; dann legte ich mich
nieder; und ſchlief wirklich ein wenig ein: aber der unſelige
zehnmal während meinem Fieber und meiner Geneſung weg-
geſchickte Baron Bielfeld — unſer letzter Geſandter in Kon-
ſtantinopel — ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth,
ihm wieder abzuſagen. Ich bemühte mich drei Viertelſtunden
ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen,
daß die Nähterin ſich ſchon wälzen wollte, und daß er ſich

26 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0417" n="403"/>
chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die &#x017F;ich<lb/>
keine Rechen&#x017F;chaft geben können, in der Liebe &#x017F;o blind Recht<lb/>
haben: je gröber &#x017F;ie &#x017F;cheint; je mehr auf Äußeres, auf den<lb/>
Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein!<lb/>
Mündlich. Ich la&#x017F;&#x017F;e deine Briefe Einmal drucken, und das<lb/>
Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor-<lb/>
theil. Adieu. Ich erliege. &#x2014;</p><lb/>
            <p>&#x2014; O! wäre ich &#x017F;teinge&#x017F;und, hätte Klima, Freunde; wahr-<lb/>
lich, ich wollte das Be&#x017F;te an&#x017F;tändig entbehren und vermi&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge-<lb/>
&#x017F;toßen, die alle nichts &#x017F;ind, als fre&#x017F;&#x017F;ender, verzehrender, per-<lb/>
&#x017F;onifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Ge&#x017F;undheits-<lb/>
und Gei&#x017F;teszu&#x017F;tand die Sorge, die elende, mir im inner&#x017F;ten<lb/>
Gei&#x017F;te verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel i&#x017F;t<lb/>
die, der in &#x017F;einem eignen Gei&#x017F;te <hi rendition="#g">auch</hi> ungewiß i&#x017F;t, und dem<lb/>
wahrhaftig eigentlich alles, wenn er &#x017F;ich recht abfragt, egal<lb/>
i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
            <p>&#x2014; Gegen 4 Uhr ging ich nach Hau&#x017F;e e&#x017F;&#x017F;en; mit einer<lb/>
großen hüb&#x017F;chen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und<lb/>
die Neumann lobt; die amü&#x017F;irte ich &#x017F;ehr; dann legte ich mich<lb/>
nieder; und &#x017F;chlief wirklich ein wenig ein: aber der un&#x017F;elige<lb/>
zehnmal während meinem Fieber und meiner Gene&#x017F;ung weg-<lb/>
ge&#x017F;chickte Baron Bielfeld &#x2014; un&#x017F;er letzter Ge&#x017F;andter in Kon-<lb/>
&#x017F;tantinopel &#x2014; ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth,<lb/>
ihm wieder abzu&#x017F;agen. Ich bemühte mich drei Viertel&#x017F;tunden<lb/>
ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen,<lb/>
daß die Nähterin &#x017F;ich &#x017F;chon wälzen wollte, und daß er &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">26 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0417] chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die ſich keine Rechenſchaft geben können, in der Liebe ſo blind Recht haben: je gröber ſie ſcheint; je mehr auf Äußeres, auf den Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein! Mündlich. Ich laſſe deine Briefe Einmal drucken, und das Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor- theil. Adieu. Ich erliege. — — O! wäre ich ſteingeſund, hätte Klima, Freunde; wahr- lich, ich wollte das Beſte anſtändig entbehren und vermiſſen. So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge- ſtoßen, die alle nichts ſind, als freſſender, verzehrender, per- ſonifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Geſundheits- und Geiſteszuſtand die Sorge, die elende, mir im innerſten Geiſte verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel iſt die, der in ſeinem eignen Geiſte auch ungewiß iſt, und dem wahrhaftig eigentlich alles, wenn er ſich recht abfragt, egal iſt. — — Gegen 4 Uhr ging ich nach Hauſe eſſen; mit einer großen hübſchen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und die Neumann lobt; die amüſirte ich ſehr; dann legte ich mich nieder; und ſchlief wirklich ein wenig ein: aber der unſelige zehnmal während meinem Fieber und meiner Geneſung weg- geſchickte Baron Bielfeld — unſer letzter Geſandter in Kon- ſtantinopel — ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth, ihm wieder abzuſagen. Ich bemühte mich drei Viertelſtunden ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen, daß die Nähterin ſich ſchon wälzen wollte, und daß er ſich 26 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/417
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/417>, abgerufen am 27.11.2024.