Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wiedererringen; und nur, wenn man sich dazu entschließt, kann
man ihr ihr Attentat beweisen, sonst geht sie noch als weinen-
der, verkannter, verwiesener Bettler ab. So hat sie mir es
vor Jahren, als ich sie in Paris kennen lernte, mit vielen Um-
schweifen gemacht. Das Ende -- denn wozu etwas anderes
davon wiederholen! -- war, daß ich als marechaussee, und
Richter zugleich, ihr endlich antwortete: "Wenn Sie wahr
sein werden, dann werde ich Sie lieben." Sie wollte --
wirklich -- vor Weinen platzen, so hatt' ich ihr den Keil der
Wahrheit in's Herz geschlagen, und es mußte springend von
einander! -- Geistig Zerknirschung genannt: -- "Weinen Sie
nicht!" konnte ich nur sagen; und dabei blieb's! Nachher
drehete sie in einem Brief auch dies Gespräch wieder um, --
aber ein Tacitus'ischer, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr
ihren Kuschwinkel an. In den vielen Diskussionen sagte sie:
"Hypochondrisch bin ich nicht", -- sie freute sich der imagi-
nairen Anklage -- "ich zwinge mich ja, jeder Andere läge."
Hypochondrisch sind Sie gar nicht! -- kriegte sie -- aber
kranksüchtig! Sie denken Kranksein ist hübsch; und nie sagen
Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! -- Ist der Mensch
nicht genialisch, so will ich nur Freiheit von ihm. Negation;
wo Negation ist. Will man's anders, so ist das Verwirrung,
und meist leidenschaftliche. -- --

Wie wahr ist das, was du über Freundschaft auf einem klei-
nen Zettel mir schicktest: "Jedem Gebildeten muß man alles sagen
können." Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die
Zettel, die ich so gut finde -- auch Neumann ist sehr davon
eingenommen; dem gab ich sie alle -- zu antworten. Spre-

wiedererringen; und nur, wenn man ſich dazu entſchließt, kann
man ihr ihr Attentat beweiſen, ſonſt geht ſie noch als weinen-
der, verkannter, verwieſener Bettler ab. So hat ſie mir es
vor Jahren, als ich ſie in Paris kennen lernte, mit vielen Um-
ſchweifen gemacht. Das Ende — denn wozu etwas anderes
davon wiederholen! — war, daß ich als maréchaussée, und
Richter zugleich, ihr endlich antwortete: „Wenn Sie wahr
ſein werden, dann werde ich Sie lieben.“ Sie wollte —
wirklich — vor Weinen platzen, ſo hatt’ ich ihr den Keil der
Wahrheit in’s Herz geſchlagen, und es mußte ſpringend von
einander! — Geiſtig Zerknirſchung genannt: — „Weinen Sie
nicht!“ konnte ich nur ſagen; und dabei blieb’s! Nachher
drehete ſie in einem Brief auch dies Geſpräch wieder um, —
aber ein Tacitus’iſcher, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr
ihren Kuſchwinkel an. In den vielen Diskuſſionen ſagte ſie:
„Hypochondriſch bin ich nicht“, — ſie freute ſich der imagi-
nairen Anklage — „ich zwinge mich ja, jeder Andere läge.“
Hypochondriſch ſind Sie gar nicht! — kriegte ſie — aber
krankſüchtig! Sie denken Krankſein iſt hübſch; und nie ſagen
Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! — Iſt der Menſch
nicht genialiſch, ſo will ich nur Freiheit von ihm. Negation;
wo Negation iſt. Will man’s anders, ſo iſt das Verwirrung,
und meiſt leidenſchaftliche. — —

Wie wahr iſt das, was du über Freundſchaft auf einem klei-
nen Zettel mir ſchickteſt: „Jedem Gebildeten muß man alles ſagen
können.“ Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die
Zettel, die ich ſo gut finde — auch Neumann iſt ſehr davon
eingenommen; dem gab ich ſie alle — zu antworten. Spre-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0416" n="402"/>
wiedererringen; und nur, wenn man &#x017F;ich dazu ent&#x017F;chließt, kann<lb/>
man ihr ihr Attentat bewei&#x017F;en, &#x017F;on&#x017F;t geht &#x017F;ie noch als weinen-<lb/>
der, verkannter, verwie&#x017F;ener Bettler ab. So hat &#x017F;ie mir es<lb/>
vor Jahren, als ich &#x017F;ie in Paris kennen lernte, mit vielen Um-<lb/>
&#x017F;chweifen gemacht. Das <hi rendition="#g">Ende</hi> &#x2014; denn wozu etwas anderes<lb/>
davon wiederholen! &#x2014; war, daß ich als <hi rendition="#aq">maréchaussée,</hi> und<lb/>
Richter zugleich, ihr endlich antwortete: &#x201E;Wenn Sie <hi rendition="#g">wahr</hi><lb/>
&#x017F;ein werden, <hi rendition="#g">dann</hi> werde ich Sie lieben.&#x201C; Sie wollte &#x2014;<lb/>
wirklich &#x2014; vor Weinen platzen, &#x017F;o hatt&#x2019; ich ihr den Keil der<lb/>
Wahrheit in&#x2019;s <hi rendition="#g">Herz</hi> ge&#x017F;chlagen, und es <hi rendition="#g">mußte</hi> &#x017F;pringend von<lb/>
einander! &#x2014; Gei&#x017F;tig Zerknir&#x017F;chung genannt: &#x2014; &#x201E;Weinen Sie<lb/>
nicht!&#x201C; konnte ich nur &#x017F;agen; und dabei blieb&#x2019;s! Nachher<lb/>
drehete &#x017F;ie in einem Brief auch dies Ge&#x017F;präch wieder um, &#x2014;<lb/>
aber ein Tacitus&#x2019;i&#x017F;cher, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr<lb/>
ihren Ku&#x017F;chwinkel an. In den vielen Disku&#x017F;&#x017F;ionen &#x017F;agte &#x017F;ie:<lb/>
&#x201E;Hypochondri&#x017F;ch bin ich nicht&#x201C;, &#x2014; &#x017F;ie freute &#x017F;ich der imagi-<lb/>
nairen Anklage &#x2014; &#x201E;ich zwinge mich ja, jeder Andere läge.&#x201C;<lb/>
Hypochondri&#x017F;ch &#x017F;ind Sie gar nicht! &#x2014; kriegte &#x017F;ie &#x2014; aber<lb/>
krank&#x017F;üchtig! Sie denken Krank&#x017F;ein i&#x017F;t hüb&#x017F;ch; und nie &#x017F;agen<lb/>
Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! &#x2014; I&#x017F;t der Men&#x017F;ch<lb/>
nicht geniali&#x017F;ch, &#x017F;o will ich nur Freiheit von ihm. Negation;<lb/>
wo Negation i&#x017F;t. Will man&#x2019;s anders, &#x017F;o i&#x017F;t das Verwirrung,<lb/>
und mei&#x017F;t leiden&#x017F;chaftliche. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
            <p>Wie wahr i&#x017F;t das, was du über Freund&#x017F;chaft auf einem klei-<lb/>
nen Zettel mir &#x017F;chickte&#x017F;t: &#x201E;Jedem Gebildeten muß man alles &#x017F;agen<lb/>
können.&#x201C; Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die<lb/>
Zettel, die ich &#x017F;o gut finde &#x2014; auch Neumann i&#x017F;t &#x017F;ehr davon<lb/>
eingenommen; dem gab ich &#x017F;ie alle &#x2014; zu antworten. Spre-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0416] wiedererringen; und nur, wenn man ſich dazu entſchließt, kann man ihr ihr Attentat beweiſen, ſonſt geht ſie noch als weinen- der, verkannter, verwieſener Bettler ab. So hat ſie mir es vor Jahren, als ich ſie in Paris kennen lernte, mit vielen Um- ſchweifen gemacht. Das Ende — denn wozu etwas anderes davon wiederholen! — war, daß ich als maréchaussée, und Richter zugleich, ihr endlich antwortete: „Wenn Sie wahr ſein werden, dann werde ich Sie lieben.“ Sie wollte — wirklich — vor Weinen platzen, ſo hatt’ ich ihr den Keil der Wahrheit in’s Herz geſchlagen, und es mußte ſpringend von einander! — Geiſtig Zerknirſchung genannt: — „Weinen Sie nicht!“ konnte ich nur ſagen; und dabei blieb’s! Nachher drehete ſie in einem Brief auch dies Geſpräch wieder um, — aber ein Tacitus’iſcher, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr ihren Kuſchwinkel an. In den vielen Diskuſſionen ſagte ſie: „Hypochondriſch bin ich nicht“, — ſie freute ſich der imagi- nairen Anklage — „ich zwinge mich ja, jeder Andere läge.“ Hypochondriſch ſind Sie gar nicht! — kriegte ſie — aber krankſüchtig! Sie denken Krankſein iſt hübſch; und nie ſagen Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! — Iſt der Menſch nicht genialiſch, ſo will ich nur Freiheit von ihm. Negation; wo Negation iſt. Will man’s anders, ſo iſt das Verwirrung, und meiſt leidenſchaftliche. — — Wie wahr iſt das, was du über Freundſchaft auf einem klei- nen Zettel mir ſchickteſt: „Jedem Gebildeten muß man alles ſagen können.“ Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die Zettel, die ich ſo gut finde — auch Neumann iſt ſehr davon eingenommen; dem gab ich ſie alle — zu antworten. Spre-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/416
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/416>, abgerufen am 06.06.2024.