aus sie selbst nichts macht. Mein Robert'sches Leid hatte das Gute, mich von der legitim zu entfernen! Ich vergehe in der That! nun ganz! -- Heute habe ich erst dein Tage- buch gelesen, was schon so lange bei mir liegt -- heute erst bleibe ich zum erstenmal seit Roberts Krankheit zu Hause: jetzt ist es 2 Uhr -- und worin du Justinus Kerner für mich sehr deutlich beschreibst! Mir ist er lieb! -- Auch ich habe Jungs Geisterkunde; das Buch, und die Theorie gefallen mir sehr gut -- nämlich der Punkt, woraus sie geht --, er und die Geschichten grundschlecht. Ehrlich ist er auch nicht mehr. Siehst du nicht, daß er sich nun schon zu glauben zwingt? oder vielmehr mit Glaubensreden seine störende Erkenntniß übertäuben will? Es geht ihm in einem andern Weg wie Jean Paul; die Meinungen der Bücher, die er hat lesen müssen, haben ihn irre gemacht; und zum wirklichen Den- ken kann der nicht kommen. Seine Deduktionen sind kinder- haft, und für einen studirten Mann zu bestrafen! seine Ge- schichten die lächerlichsten Offenbarungen von Pöbel -- der nicht wahrnehmen kann -- ohne Sinne und ohne je einen Namen. Ein gebildeter Mensch darf sich nicht einmal auf- führen, wie der seine Verklärten sich noch herumtreiben läßt. Herumtreiben kann kommen; und schrecklich sein; aber so plump schneiderhaft doch wohl nicht. Das Buch hat das größte Interesse für mich. Sein Inhalt. Kerner's Geschichte ist mir lieber, als alle die in dem Buche. Ich möchte die Musik haben, die er grade spielte. In ihren Verhältnissen kann etwas sein. --
Schreibe mir wieder. Ich liebe dich! und freue mich über
aus ſie ſelbſt nichts macht. Mein Robert’ſches Leid hatte das Gute, mich von der legitim zu entfernen! Ich vergehe in der That! nun ganz! — Heute habe ich erſt dein Tage- buch geleſen, was ſchon ſo lange bei mir liegt — heute erſt bleibe ich zum erſtenmal ſeit Roberts Krankheit zu Hauſe: jetzt iſt es 2 Uhr — und worin du Juſtinus Kerner für mich ſehr deutlich beſchreibſt! Mir iſt er lieb! — Auch ich habe Jungs Geiſterkunde; das Buch, und die Theorie gefallen mir ſehr gut — nämlich der Punkt, woraus ſie geht —, er und die Geſchichten grundſchlecht. Ehrlich iſt er auch nicht mehr. Siehſt du nicht, daß er ſich nun ſchon zu glauben zwingt? oder vielmehr mit Glaubensreden ſeine ſtörende Erkenntniß übertäuben will? Es geht ihm in einem andern Weg wie Jean Paul; die Meinungen der Bücher, die er hat leſen müſſen, haben ihn irre gemacht; und zum wirklichen Den- ken kann der nicht kommen. Seine Deduktionen ſind kinder- haft, und für einen ſtudirten Mann zu beſtrafen! ſeine Ge- ſchichten die lächerlichſten Offenbarungen von Pöbel — der nicht wahrnehmen kann — ohne Sinne und ohne je einen Namen. Ein gebildeter Menſch darf ſich nicht einmal auf- führen, wie der ſeine Verklärten ſich noch herumtreiben läßt. Herumtreiben kann kommen; und ſchrecklich ſein; aber ſo plump ſchneiderhaft doch wohl nicht. Das Buch hat das größte Intereſſe für mich. Sein Inhalt. Kerner’s Geſchichte iſt mir lieber, als alle die in dem Buche. Ich möchte die Muſik haben, die er grade ſpielte. In ihren Verhältniſſen kann etwas ſein. —
Schreibe mir wieder. Ich liebe dich! und freue mich über
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aus ſie ſelbſt nichts macht. Mein Robert’ſches Leid hatte
das Gute, mich von der legitim zu entfernen! Ich vergehe
in der That! nun ganz! — Heute habe ich erſt dein Tage-
buch geleſen, was ſchon ſo lange bei mir liegt — heute erſt
bleibe ich zum erſtenmal ſeit Roberts Krankheit zu Hauſe:
jetzt iſt es 2 Uhr — und worin du Juſtinus Kerner für mich
ſehr deutlich beſchreibſt! Mir iſt er lieb! — Auch ich habe
Jungs Geiſterkunde; das Buch, und die Theorie gefallen mir
ſehr gut — nämlich der Punkt, woraus ſie geht —, er und
die Geſchichten grundſchlecht. Ehrlich iſt er auch nicht mehr.
Siehſt du nicht, daß er ſich nun ſchon zu glauben zwingt?
oder vielmehr mit Glaubensreden ſeine ſtörende Erkenntniß
übertäuben will? Es geht ihm in einem andern Weg wie
Jean Paul; die Meinungen der Bücher, die er hat leſen
müſſen, haben ihn irre gemacht; und zum wirklichen Den-
ken kann der nicht kommen. Seine Deduktionen ſind kinder-
haft, und für einen ſtudirten Mann zu beſtrafen! ſeine Ge-
ſchichten die lächerlichſten Offenbarungen von Pöbel — der
nicht wahrnehmen kann — ohne Sinne und ohne je einen
Namen. Ein gebildeter Menſch darf ſich nicht einmal auf-
führen, wie der ſeine Verklärten ſich noch herumtreiben läßt.
Herumtreiben kann kommen; und ſchrecklich ſein; aber ſo
plump ſchneiderhaft doch wohl nicht. Das Buch hat das
größte Intereſſe für mich. Sein Inhalt. Kerner’s Geſchichte
iſt mir lieber, als alle die in dem Buche. Ich möchte die
Muſik haben, die er grade ſpielte. In ihren Verhältniſſen
kann etwas ſein. —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/406>, abgerufen am 28.11.2024.
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