Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch besser
werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir
wachsen auch noch alle Erkenntnisse, wenn ich eine neue ge-
winne. Gestern Morgen hörte ich in einem Saale des Schlos-
ses eine Probe von Righini's Tedeum, worin die Stadt mit
sang, und auch die Schwestern des Königs, und welches einen
Tag nach seiner Ankunft im Dom aufgeführt werden soll: der
Meister schickte mir ein perpetuell Billet zu diesen Proben und
zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles!
Leider log ich fast; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine
Kirche ist drin zu spüren: aber wohl gli infernali: und Thea-
ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war
der Saal sehr ungünstig. Freitag wird eine andere im Ritter-
saale sein, ich muß meint- und Righini's wegen hin. Doch
ist ein sehr schönes Gebet drin. Die Kastraten fehlten. Tom-
bolini sang sehr kirchlich und schön: der einzige. Fasch Schule,
schlecht. Einer hält sich an dem andern. Musik ist Freiheit
im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, ist das ganze Wesen
der Musik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kunst
also; und ist das Verkehrte auf's peinigendste, d. h. unkünst-
lerischte dargestellt; und ist umgekehrt, was Fichte vom Witz
sagt: "Die Evidenz des Verkehrten." Ich habe von There-
min, der gestern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe
auch, und eben so wie ich, ungünstig von dieser Musik ge-
urtheilt, er soll nur wenig davon gehört haben. Theremin
frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte sie.
Righini ist zu aufmerksam auf mich; und die Menschen zu
erpicht auf was ich sage.


den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch beſſer
werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir
wachſen auch noch alle Erkenntniſſe, wenn ich eine neue ge-
winne. Geſtern Morgen hörte ich in einem Saale des Schloſ-
ſes eine Probe von Righini’s Tedeum, worin die Stadt mit
ſang, und auch die Schweſtern des Königs, und welches einen
Tag nach ſeiner Ankunft im Dom aufgeführt werden ſoll: der
Meiſter ſchickte mir ein perpetuell Billet zu dieſen Proben und
zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles!
Leider log ich faſt; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine
Kirche iſt drin zu ſpüren: aber wohl gli infernali: und Thea-
ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war
der Saal ſehr ungünſtig. Freitag wird eine andere im Ritter-
ſaale ſein, ich muß meint- und Righini’s wegen hin. Doch
iſt ein ſehr ſchönes Gebet drin. Die Kaſtraten fehlten. Tom-
bolini ſang ſehr kirchlich und ſchön: der einzige. Faſch Schule,
ſchlecht. Einer hält ſich an dem andern. Muſik iſt Freiheit
im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, iſt das ganze Weſen
der Muſik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kunſt
alſo; und iſt das Verkehrte auf’s peinigendſte, d. h. unkünſt-
leriſchte dargeſtellt; und iſt umgekehrt, was Fichte vom Witz
ſagt: „Die Evidenz des Verkehrten.“ Ich habe von There-
min, der geſtern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe
auch, und eben ſo wie ich, ungünſtig von dieſer Muſik ge-
urtheilt, er ſoll nur wenig davon gehört haben. Theremin
frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte ſie.
Righini iſt zu aufmerkſam auf mich; und die Menſchen zu
erpicht auf was ich ſage.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="393"/>
den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir<lb/>
wach&#x017F;en auch noch alle Erkenntni&#x017F;&#x017F;e, wenn ich eine neue ge-<lb/>
winne. Ge&#x017F;tern Morgen hörte ich in einem Saale des Schlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;es eine Probe von Righini&#x2019;s Tedeum, worin die Stadt mit<lb/>
&#x017F;ang, und auch die Schwe&#x017F;tern des Königs, und welches einen<lb/>
Tag nach &#x017F;einer Ankunft im Dom aufgeführt werden &#x017F;oll: der<lb/>
Mei&#x017F;ter &#x017F;chickte mir ein perpetuell Billet zu die&#x017F;en Proben und<lb/>
zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles!<lb/>
Leider log ich fa&#x017F;t; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine<lb/>
Kirche i&#x017F;t drin zu &#x017F;püren: aber wohl <hi rendition="#aq">gli infernali:</hi> und Thea-<lb/>
ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war<lb/>
der Saal &#x017F;ehr ungün&#x017F;tig. Freitag wird eine andere im Ritter-<lb/>
&#x017F;aale &#x017F;ein, ich muß meint- und Righini&#x2019;s wegen hin. Doch<lb/>
i&#x017F;t <hi rendition="#g">ein</hi> &#x017F;ehr &#x017F;chönes Gebet drin. Die Ka&#x017F;traten fehlten. Tom-<lb/>
bolini &#x017F;ang &#x017F;ehr kirchlich und &#x017F;chön: der einzige. Fa&#x017F;ch Schule,<lb/>
&#x017F;chlecht. Einer hält &#x017F;ich an dem andern. Mu&#x017F;ik i&#x017F;t Freiheit<lb/>
im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, i&#x017F;t das ganze We&#x017F;en<lb/>
der Mu&#x017F;ik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kun&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o; und i&#x017F;t das Verkehrte auf&#x2019;s peinigend&#x017F;te, d. h. unkün&#x017F;t-<lb/>
leri&#x017F;chte darge&#x017F;tellt; und i&#x017F;t umgekehrt, was Fichte vom Witz<lb/>
&#x017F;agt: &#x201E;Die Evidenz des Verkehrten.&#x201C; Ich habe von There-<lb/>
min, der ge&#x017F;tern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe<lb/>
auch, und eben &#x017F;o wie ich, ungün&#x017F;tig von die&#x017F;er Mu&#x017F;ik ge-<lb/>
urtheilt, er &#x017F;oll nur wenig davon gehört haben. Theremin<lb/>
frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte &#x017F;ie.<lb/>
Righini i&#x017F;t zu aufmerk&#x017F;am auf mich; und die Men&#x017F;chen zu<lb/>
erpicht auf was ich &#x017F;age.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0407] den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch beſſer werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir wachſen auch noch alle Erkenntniſſe, wenn ich eine neue ge- winne. Geſtern Morgen hörte ich in einem Saale des Schloſ- ſes eine Probe von Righini’s Tedeum, worin die Stadt mit ſang, und auch die Schweſtern des Königs, und welches einen Tag nach ſeiner Ankunft im Dom aufgeführt werden ſoll: der Meiſter ſchickte mir ein perpetuell Billet zu dieſen Proben und zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles! Leider log ich faſt; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine Kirche iſt drin zu ſpüren: aber wohl gli infernali: und Thea- ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war der Saal ſehr ungünſtig. Freitag wird eine andere im Ritter- ſaale ſein, ich muß meint- und Righini’s wegen hin. Doch iſt ein ſehr ſchönes Gebet drin. Die Kaſtraten fehlten. Tom- bolini ſang ſehr kirchlich und ſchön: der einzige. Faſch Schule, ſchlecht. Einer hält ſich an dem andern. Muſik iſt Freiheit im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, iſt das ganze Weſen der Muſik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kunſt alſo; und iſt das Verkehrte auf’s peinigendſte, d. h. unkünſt- leriſchte dargeſtellt; und iſt umgekehrt, was Fichte vom Witz ſagt: „Die Evidenz des Verkehrten.“ Ich habe von There- min, der geſtern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe auch, und eben ſo wie ich, ungünſtig von dieſer Muſik ge- urtheilt, er ſoll nur wenig davon gehört haben. Theremin frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte ſie. Righini iſt zu aufmerkſam auf mich; und die Menſchen zu erpicht auf was ich ſage.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/407
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/407>, abgerufen am 28.11.2024.