felt bei der Wahrheit wiedertreffen, wohin sie immer kehren, die sie immer im Ernste suchen. Untersuchen Sie einmal die eklatanteste Liebe -- was man so nennt -- was ist denn die? Augenblickliches Übereinstimmen -- meistens bei einer Irrung gegründet, fortgesetzt, besiegelt, und verschwunden -- was sie denn für recht himmlisch und mit Wuth fest halten, je weni- ger Grund sie wider die Unzuverlässigkeit desselben aufzufin- den ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahr- heitsboden wegzuräsonniren dächte! (Gott behüte, ich bin einer der größten Sklaven und Anhänger des himmlischen Kindes), nein; sie findet nur bei gewissen Freundschaften -- ich habe kein ander Wort -- nicht Statt, und mit denen zusammen ist sie zwar die größte Idee für Menschen und ihre Verhält- nisse; hingegen ist sie mir bis jetzt 'auch nur als solche be- gegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Mensch; dem man seine Tollheit ausreden will, man schwatzt, man beweist, er versteht, giebt Recht, und beweist zuletzt, wieder daraus, seine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt' ich Sie fragen, hab' ich nun nicht Recht, daß ich liebe wo ich kann oder muß, und meine Freunde wieder besonders betreibe? Kurz! Was liebt man? Das Schöne und Gute. Wo liebt man's? Wo man's findet. Wann liebt man's? Wenn man's findet. Also seitenweise, seitenweise: wie uns die ganze Welt erscheint; mein Fehler ist es nicht; es mag ein Zusammen- hang in ihr sein, uns erscheint aber auch nicht der rechte. Und daß mir diese Wahrheit als der einzige erscheint, den ich finden kann, macht, daß ich nicht kann. Und nun ist die Tollheit aus. Nun streiten Sie noch einmal von vorne!
felt bei der Wahrheit wiedertreffen, wohin ſie immer kehren, die ſie immer im Ernſte ſuchen. Unterſuchen Sie einmal die ėklatanteſte Liebe — was man ſo nennt — was iſt denn die? Augenblickliches Übereinſtimmen — meiſtens bei einer Irrung gegründet, fortgeſetzt, beſiegelt, und verſchwunden — was ſie denn für recht himmliſch und mit Wuth feſt halten, je weni- ger Grund ſie wider die Unzuverläſſigkeit deſſelben aufzufin- den ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahr- heitsboden wegzuräſonniren dächte! (Gott behüte, ich bin einer der größten Sklaven und Anhänger des himmliſchen Kindes), nein; ſie findet nur bei gewiſſen Freundſchaften — ich habe kein ander Wort — nicht Statt, und mit denen zuſammen iſt ſie zwar die größte Idee für Menſchen und ihre Verhält- niſſe; hingegen iſt ſie mir bis jetzt ’auch nur als ſolche be- gegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Menſch; dem man ſeine Tollheit ausreden will, man ſchwatzt, man beweiſt, er verſteht, giebt Recht, und beweiſt zuletzt, wieder daraus, ſeine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt’ ich Sie fragen, hab’ ich nun nicht Recht, daß ich liebe wo ich kann oder muß, und meine Freunde wieder beſonders betreibe? Kurz! Was liebt man? Das Schöne und Gute. Wo liebt man’s? Wo man’s findet. Wann liebt man’s? Wenn man’s findet. Alſo ſeitenweiſe, ſeitenweiſe: wie uns die ganze Welt erſcheint; mein Fehler iſt es nicht; es mag ein Zuſammen- hang in ihr ſein, uns erſcheint aber auch nicht der rechte. Und daß mir dieſe Wahrheit als der einzige erſcheint, den ich finden kann, macht, daß ich nicht kann. Und nun iſt die Tollheit aus. Nun ſtreiten Sie noch einmal von vorne!
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felt bei der Wahrheit wiedertreffen, wohin ſie immer kehren,
die ſie immer im Ernſte ſuchen. Unterſuchen Sie einmal die
ėklatanteſte Liebe — was man ſo nennt — was iſt denn die?
Augenblickliches Übereinſtimmen — meiſtens bei einer Irrung
gegründet, fortgeſetzt, beſiegelt, und verſchwunden — was ſie
denn für recht himmliſch und mit Wuth feſt halten, je weni-
ger Grund ſie wider die Unzuverläſſigkeit deſſelben aufzufin-
den ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahr-
heitsboden wegzuräſonniren dächte! (Gott behüte, ich bin einer
der größten Sklaven und Anhänger des himmliſchen Kindes),
nein; ſie findet nur bei gewiſſen Freundſchaften — ich habe
kein ander Wort — nicht Statt, und mit denen zuſammen
iſt ſie zwar die größte Idee für Menſchen und ihre Verhält-
niſſe; hingegen iſt ſie mir bis jetzt ’auch nur als ſolche be-
gegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Menſch; dem
man ſeine Tollheit ausreden will, man ſchwatzt, man beweiſt,
er verſteht, giebt Recht, und beweiſt zuletzt, wieder daraus,
ſeine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt’
ich Sie fragen, hab’ ich nun nicht Recht, daß ich liebe wo ich
kann oder muß, und meine Freunde wieder beſonders betreibe?
Kurz! Was liebt man? Das Schöne und Gute. Wo liebt
man’s? Wo man’s findet. Wann liebt man’s? Wenn man’s
findet. Alſo ſeitenweiſe, ſeitenweiſe: wie uns die ganze Welt
erſcheint; mein Fehler iſt es nicht; es mag ein Zuſammen-
hang in ihr ſein, uns erſcheint aber auch nicht der rechte.
Und daß mir dieſe Wahrheit als der einzige erſcheint, den ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/166>, abgerufen am 15.10.2024.
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