Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sagen Sie einmal, lieber Veit, ist Ihnen wohl schon ein
ungebildeter Mensch in meiner Art vorgekommen? Mir noch
nicht. Andere, die etwas nicht wissen, denen ist auch diese
Unwissenheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft;
bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwissenheit, die
Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir
fällt das bei diesem konfusen Brief wieder ein, wo Sie mir
gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich
Sie auch bitten wollte. Wie kann man so genau, so pünkt-
lich, so gründlich, so ästhetisch möcht' ich fast sagen, wissen
was schön geschrieben ist, und sich selbst nicht bessern: sogar
mein Geschmack, mein Urtheil bessert sich, und ich spreche
schlechter, als die geringste Frau, die drei Friedrichs von Sieg-
fried gelesen hat. Jeder kann besser schreiben und reden, mit
viel dümmern Gedanken, Ich fühl' das alle Tage; und zu-
letzt ärgert's mich doch. Wenigstens möcht' ich die Ursache
begreifen, da mir die Einsicht nicht fehlt. Ich goutire jedes
"Und", "Wohl", "Denn", das mindeste Wörtchen; weiß
so schön den Unterschied bei Dichtern zu finden und bei Schrift-
stellern, weiß sie zu karakterisiren, zu klassifiziren, viel besser
als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, bessere mich
nicht. Ich weiß genau, wenn ich einmal einen Perioden
gut geschrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen
thu' ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi-
nelle Gedanken hätte, müßten die Unwissendsten sagen, ich
sei's. --



Sagen Sie einmal, lieber Veit, iſt Ihnen wohl ſchon ein
ungebildeter Menſch in meiner Art vorgekommen? Mir noch
nicht. Andere, die etwas nicht wiſſen, denen iſt auch dieſe
Unwiſſenheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft;
bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwiſſenheit, die
Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir
fällt das bei dieſem konfuſen Brief wieder ein, wo Sie mir
gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich
Sie auch bitten wollte. Wie kann man ſo genau, ſo pünkt-
lich, ſo gründlich, ſo äſthetiſch möcht’ ich faſt ſagen, wiſſen
was ſchön geſchrieben iſt, und ſich ſelbſt nicht beſſern: ſogar
mein Geſchmack, mein Urtheil beſſert ſich, und ich ſpreche
ſchlechter, als die geringſte Frau, die drei Friedrichs von Sieg-
fried geleſen hat. Jeder kann beſſer ſchreiben und reden, mit
viel dümmern Gedanken, Ich fühl’ das alle Tage; und zu-
letzt ärgert’s mich doch. Wenigſtens möcht’ ich die Urſache
begreifen, da mir die Einſicht nicht fehlt. Ich goutire jedes
„Und“, „Wohl“, „Denn“, das mindeſte Wörtchen; weiß
ſo ſchön den Unterſchied bei Dichtern zu finden und bei Schrift-
ſtellern, weiß ſie zu karakteriſiren, zu klaſſifiziren, viel beſſer
als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, beſſere mich
nicht. Ich weiß genau, wenn ich einmal einen Perioden
gut geſchrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen
thu’ ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi-
nelle Gedanken hätte, müßten die Unwiſſendſten ſagen, ich
ſei’s. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0167" n="153"/>
          <p>Sagen Sie einmal, lieber Veit, i&#x017F;t Ihnen wohl &#x017F;chon ein<lb/>
ungebildeter Men&#x017F;ch in meiner Art vorgekommen? Mir noch<lb/>
nicht. Andere, die etwas nicht wi&#x017F;&#x017F;en, denen i&#x017F;t auch die&#x017F;e<lb/>
Unwi&#x017F;&#x017F;enheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft;<lb/>
bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, die<lb/>
Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir<lb/>
fällt das bei die&#x017F;em konfu&#x017F;en Brief wieder ein, wo Sie mir<lb/>
gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich<lb/>
Sie auch bitten wollte. Wie kann man &#x017F;o genau, &#x017F;o pünkt-<lb/>
lich, &#x017F;o <hi rendition="#g">gründlich</hi>, &#x017F;o ä&#x017F;theti&#x017F;ch möcht&#x2019; ich fa&#x017F;t &#x017F;agen, wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
was &#x017F;chön ge&#x017F;chrieben i&#x017F;t, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht be&#x017F;&#x017F;ern: &#x017F;ogar<lb/>
mein Ge&#x017F;chmack, mein Urtheil be&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich, und ich &#x017F;preche<lb/>
&#x017F;chlechter, als die gering&#x017F;te Frau, die drei Friedrichs von Sieg-<lb/>
fried gele&#x017F;en hat. Jeder kann be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chreiben und reden, mit<lb/>
viel dümmern Gedanken, Ich fühl&#x2019; das alle Tage; und zu-<lb/>
letzt ärgert&#x2019;s mich doch. Wenig&#x017F;tens möcht&#x2019; ich die Ur&#x017F;ache<lb/>
begreifen, da mir die Ein&#x017F;icht nicht fehlt. Ich goutire jedes<lb/>
&#x201E;Und&#x201C;, &#x201E;Wohl&#x201C;, &#x201E;Denn&#x201C;, das minde&#x017F;te Wörtchen; weiß<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön den Unter&#x017F;chied bei Dichtern zu finden und bei Schrift-<lb/>
&#x017F;tellern, weiß &#x017F;ie zu karakteri&#x017F;iren, zu kla&#x017F;&#x017F;ifiziren, viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, be&#x017F;&#x017F;ere mich<lb/>
nicht. Ich weiß <hi rendition="#g">genau</hi>, wenn ich einmal einen Perioden<lb/>
gut ge&#x017F;chrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen<lb/>
thu&#x2019; ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi-<lb/>
nelle Gedanken hätte, müßten die Unwi&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten &#x017F;agen, ich<lb/>
&#x017F;ei&#x2019;s. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0167] Sagen Sie einmal, lieber Veit, iſt Ihnen wohl ſchon ein ungebildeter Menſch in meiner Art vorgekommen? Mir noch nicht. Andere, die etwas nicht wiſſen, denen iſt auch dieſe Unwiſſenheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft; bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwiſſenheit, die Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir fällt das bei dieſem konfuſen Brief wieder ein, wo Sie mir gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich Sie auch bitten wollte. Wie kann man ſo genau, ſo pünkt- lich, ſo gründlich, ſo äſthetiſch möcht’ ich faſt ſagen, wiſſen was ſchön geſchrieben iſt, und ſich ſelbſt nicht beſſern: ſogar mein Geſchmack, mein Urtheil beſſert ſich, und ich ſpreche ſchlechter, als die geringſte Frau, die drei Friedrichs von Sieg- fried geleſen hat. Jeder kann beſſer ſchreiben und reden, mit viel dümmern Gedanken, Ich fühl’ das alle Tage; und zu- letzt ärgert’s mich doch. Wenigſtens möcht’ ich die Urſache begreifen, da mir die Einſicht nicht fehlt. Ich goutire jedes „Und“, „Wohl“, „Denn“, das mindeſte Wörtchen; weiß ſo ſchön den Unterſchied bei Dichtern zu finden und bei Schrift- ſtellern, weiß ſie zu karakteriſiren, zu klaſſifiziren, viel beſſer als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, beſſere mich nicht. Ich weiß genau, wenn ich einmal einen Perioden gut geſchrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen thu’ ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi- nelle Gedanken hätte, müßten die Unwiſſendſten ſagen, ich ſei’s. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/167
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/167>, abgerufen am 21.12.2024.