Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

hinkommen kann. (Und ist ein solcher Ort in einem, so
kann man gleich nicht glücklich sein.) Ich kann mich auf
nichts mehr besinnen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht,
so muß ich im Augenblick mir so eine Raison darüber machen,
daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber erschrecke.
Glauben Sie nicht, daß ich im Enthusiasm spreche und etwas
vergesse; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß
wenig Menschen so deutlich und dunkel Glück fühlen kön-
nen, -- ich weiß nur nicht mehr was welches ist -- aber we-
niger hat mich das rohe -- Vollgefühl -- lassen Sie mich
dieses Wort brauchen -- ihn zu sehen und zu genießen, be-
glücken können, -- denken Sie sich dieses Leider! nach sol-
chen
Wünschen -- als der vernünftige Gedanke, nun bist du
doch auch einmal glücklich, du hast doch auch Glück, so ist
das lange Leben doch durch einen Punkt für dich. Denn es
ist schrecklich sich für die einzige alles verunglückende Krea-
tur halten zu müssen: und das that ich, denn außer das
ist mir meines Wissens nie etwas geglückt. Nun hab' ich
noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge eigentlich
zu etwas Gutem geschehen -- wenn es auch erst in Ewigkei-
ten dazu wird -- Thorheit ist das gradezu nicht, denn ich
kann auch anders denken -- das ist aber immer die Haupt-
sache, um die es ganz so und nicht anders geschieht, und
dann hat's noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne-
bendinge. Die Hauptsache schien aber, diesmal, ich mir.
Denn was konnte einem sensationfähigen Geschöpf lieber sein,
also wozu Goethe's Reise noch besser, daher bin ich die Beste,
diesmal, und um mich ist diese Wunderbarkeit geschehen --

10 *

hinkommen kann. (Und iſt ein ſolcher Ort in einem, ſo
kann man gleich nicht glücklich ſein.) Ich kann mich auf
nichts mehr beſinnen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht,
ſo muß ich im Augenblick mir ſo eine Raiſon darüber machen,
daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber erſchrecke.
Glauben Sie nicht, daß ich im Enthuſiasm ſpreche und etwas
vergeſſe; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß
wenig Menſchen ſo deutlich und dunkel Glück fühlen kön-
nen, — ich weiß nur nicht mehr was welches iſt — aber we-
niger hat mich das rohe — Vollgefühl — laſſen Sie mich
dieſes Wort brauchen — ihn zu ſehen und zu genießen, be-
glücken können, — denken Sie ſich dieſes Leider! nach ſol-
chen
Wünſchen — als der vernünftige Gedanke, nun biſt du
doch auch einmal glücklich, du haſt doch auch Glück, ſo iſt
das lange Leben doch durch einen Punkt für dich. Denn es
iſt ſchrecklich ſich für die einzige alles verunglückende Krea-
tur halten zu müſſen: und das that ich, denn außer das
iſt mir meines Wiſſens nie etwas geglückt. Nun hab’ ich
noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge eigentlich
zu etwas Gutem geſchehen — wenn es auch erſt in Ewigkei-
ten dazu wird — Thorheit iſt das gradezu nicht, denn ich
kann auch anders denken — das iſt aber immer die Haupt-
ſache, um die es ganz ſo und nicht anders geſchieht, und
dann hat’s noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne-
bendinge. Die Hauptſache ſchien aber, diesmal, ich mir.
Denn was konnte einem ſenſationfähigen Geſchöpf lieber ſein,
alſo wozu Goethe’s Reiſe noch beſſer, daher bin ich die Beſte,
diesmal, und um mich iſt dieſe Wunderbarkeit geſchehen —

10 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0161" n="147"/>
hinkommen kann. (Und i&#x017F;t ein <hi rendition="#g">&#x017F;olcher</hi> Ort in einem, &#x017F;o<lb/>
kann man gleich nicht glücklich &#x017F;ein.) Ich kann mich auf<lb/>
nichts mehr be&#x017F;innen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht,<lb/>
&#x017F;o muß ich <hi rendition="#g">im</hi> Augenblick mir &#x017F;o eine Rai&#x017F;on darüber machen,<lb/>
daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber er&#x017F;chrecke.<lb/>
Glauben Sie nicht, daß ich im Enthu&#x017F;iasm &#x017F;preche und etwas<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;e; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß<lb/>
wenig Men&#x017F;chen &#x017F;o deutlich und dunkel Glück fühlen kön-<lb/>
nen, &#x2014; ich weiß nur nicht mehr was welches i&#x017F;t &#x2014; aber we-<lb/>
niger hat mich das rohe &#x2014; Vollgefühl &#x2014; la&#x017F;&#x017F;en Sie mich<lb/>
die&#x017F;es Wort brauchen &#x2014; ihn zu &#x017F;ehen und zu genießen, be-<lb/>
glücken können, &#x2014; denken Sie &#x017F;ich die&#x017F;es Leider! nach <hi rendition="#g">&#x017F;ol-<lb/>
chen</hi> Wün&#x017F;chen &#x2014; als der vernünftige Gedanke, nun bi&#x017F;t du<lb/>
doch auch einmal glücklich, du ha&#x017F;t doch auch Glück, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
das lange Leben doch durch einen Punkt <hi rendition="#g">für dich</hi>. Denn es<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chrecklich &#x017F;ich für die einzige <hi rendition="#g">alles</hi> verunglückende Krea-<lb/>
tur halten zu mü&#x017F;&#x017F;en: und das that ich, denn <hi rendition="#g">außer das</hi><lb/>
i&#x017F;t mir <hi rendition="#g">meines</hi> Wi&#x017F;&#x017F;ens nie etwas geglückt. Nun hab&#x2019; ich<lb/>
noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge <hi rendition="#g">eigentl</hi>ich<lb/>
zu etwas Gutem ge&#x017F;chehen &#x2014; wenn es auch er&#x017F;t in Ewigkei-<lb/>
ten dazu wird &#x2014; Thorheit i&#x017F;t das gradezu nicht, denn ich<lb/>
kann auch anders denken &#x2014; das i&#x017F;t aber immer die Haupt-<lb/>
&#x017F;ache, um die es ganz &#x017F;o und nicht anders ge&#x017F;chieht, und<lb/>
dann hat&#x2019;s noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne-<lb/>
bendinge. Die Haupt&#x017F;ache &#x017F;chien aber, diesmal, ich mir.<lb/>
Denn was konnte einem &#x017F;en&#x017F;ationfähigen Ge&#x017F;chöpf lieber &#x017F;ein,<lb/>
al&#x017F;o wozu Goethe&#x2019;s Rei&#x017F;e <hi rendition="#g">noch</hi> be&#x017F;&#x017F;er, daher bin ich die Be&#x017F;te,<lb/>
diesmal, und um mich i&#x017F;t die&#x017F;e Wunderbarkeit ge&#x017F;chehen &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0161] hinkommen kann. (Und iſt ein ſolcher Ort in einem, ſo kann man gleich nicht glücklich ſein.) Ich kann mich auf nichts mehr beſinnen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht, ſo muß ich im Augenblick mir ſo eine Raiſon darüber machen, daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber erſchrecke. Glauben Sie nicht, daß ich im Enthuſiasm ſpreche und etwas vergeſſe; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß wenig Menſchen ſo deutlich und dunkel Glück fühlen kön- nen, — ich weiß nur nicht mehr was welches iſt — aber we- niger hat mich das rohe — Vollgefühl — laſſen Sie mich dieſes Wort brauchen — ihn zu ſehen und zu genießen, be- glücken können, — denken Sie ſich dieſes Leider! nach ſol- chen Wünſchen — als der vernünftige Gedanke, nun biſt du doch auch einmal glücklich, du haſt doch auch Glück, ſo iſt das lange Leben doch durch einen Punkt für dich. Denn es iſt ſchrecklich ſich für die einzige alles verunglückende Krea- tur halten zu müſſen: und das that ich, denn außer das iſt mir meines Wiſſens nie etwas geglückt. Nun hab’ ich noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge eigentlich zu etwas Gutem geſchehen — wenn es auch erſt in Ewigkei- ten dazu wird — Thorheit iſt das gradezu nicht, denn ich kann auch anders denken — das iſt aber immer die Haupt- ſache, um die es ganz ſo und nicht anders geſchieht, und dann hat’s noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne- bendinge. Die Hauptſache ſchien aber, diesmal, ich mir. Denn was konnte einem ſenſationfähigen Geſchöpf lieber ſein, alſo wozu Goethe’s Reiſe noch beſſer, daher bin ich die Beſte, diesmal, und um mich iſt dieſe Wunderbarkeit geſchehen — 10 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/161
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/161>, abgerufen am 04.10.2024.