Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wie denn jedes Evenement eine ist, weil es so und nicht an-
ders geschieht -- ich mußte mich Dienstag entschließen, Mitt-
woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen
Karakter bekommen, starkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe-
the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt' auch
denken, und hinreisen, in diesen kleinen Berg-Einschuß, wo
ich grade bin, und die Welt ist so breit, so groß. Und das
ist nicht Wunder? das ist nicht Glück? Zwar -- heut, könn-
ten Sie glauben, sag' ich Ihnen alle meine Thorheiten --
ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich
gar nicht erklären, was Bewegung ist. Wenn ich nach etwas
lange, greif' ich es, und nehme es. Ja das ist gut; aber wie
ist das. Nun denk' ich mir immer, alles hat Wirkung, was
nur so existirt und geschieht: und Wünsche sollten keine ha-
ben? Ich denke mir immer, Wünsche mit Sinn, gute Wün-
sche, von den wahr-innigen, wo man so denkt sie müßten
Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich
dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können.
Ich denke mir, sie gehören so in die Harmonie der Dinge,
daß sie auch wirken. Denn obgleich nichts recht ist, so sieht
man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra-
den, die sie machen sollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün-
sche können auch etwas. Oder war das nicht eigentlich das
größte Recht, daß ich Goethe sah. Wer soll ihn denn
sehen, immer seine Wäscherin, und Hausknechte, und vornehme
Leute, und Menschen, die über den Ursprung der Steine und
über Recht schreiben und etc.? Ich danke Ihnen auch wie ich
soll, und wie Sie's nur wünschen können, für den An-

wie denn jedes Evenement eine iſt, weil es ſo und nicht an-
ders geſchieht — ich mußte mich Dienstag entſchließen, Mitt-
woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen
Karakter bekommen, ſtarkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe-
the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt’ auch
denken, und hinreiſen, in dieſen kleinen Berg-Einſchuß, wo
ich grade bin, und die Welt iſt ſo breit, ſo groß. Und das
iſt nicht Wunder? das iſt nicht Glück? Zwar — heut, könn-
ten Sie glauben, ſag’ ich Ihnen alle meine Thorheiten —
ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich
gar nicht erklären, was Bewegung iſt. Wenn ich nach etwas
lange, greif’ ich es, und nehme es. Ja das iſt gut; aber wie
iſt das. Nun denk’ ich mir immer, alles hat Wirkung, was
nur ſo exiſtirt und geſchieht: und Wünſche ſollten keine ha-
ben? Ich denke mir immer, Wünſche mit Sinn, gute Wün-
ſche, von den wahr-innigen, wo man ſo denkt ſie müßten
Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich
dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können.
Ich denke mir, ſie gehören ſo in die Harmonie der Dinge,
daß ſie auch wirken. Denn obgleich nichts recht iſt, ſo ſieht
man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra-
den, die ſie machen ſollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün-
ſche können auch etwas. Oder war das nicht eigentlich das
größte Recht, daß ich Goethe ſah. Wer ſoll ihn denn
ſehen, immer ſeine Wäſcherin, und Hausknechte, und vornehme
Leute, und Menſchen, die über den Urſprung der Steine und
über Recht ſchreiben und ꝛc.? Ich danke Ihnen auch wie ich
ſoll, und wie Sie’s nur wünſchen können, für den An-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="148"/>
wie denn jedes Evenement eine i&#x017F;t, weil es &#x017F;o und nicht an-<lb/>
ders ge&#x017F;chieht &#x2014; ich mußte mich Dienstag ent&#x017F;chließen, Mitt-<lb/>
woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen<lb/>
Karakter bekommen, &#x017F;tarkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe-<lb/>
the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt&#x2019; auch<lb/>
denken, und hinrei&#x017F;en, in die&#x017F;en kleinen Berg-Ein&#x017F;chuß, wo<lb/>
ich grade bin, und die Welt i&#x017F;t &#x017F;o breit, &#x017F;o groß. Und das<lb/>
i&#x017F;t nicht Wunder? das i&#x017F;t nicht Glück? Zwar &#x2014; heut, könn-<lb/>
ten Sie glauben, &#x017F;ag&#x2019; ich Ihnen alle meine Thorheiten &#x2014;<lb/>
ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich<lb/>
gar nicht erklären, was Bewegung i&#x017F;t. Wenn ich nach etwas<lb/>
lange, greif&#x2019; ich es, und nehme es. Ja das i&#x017F;t gut; aber wie<lb/><hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> das. Nun denk&#x2019; ich mir immer, alles hat Wirkung, was<lb/>
nur &#x017F;o exi&#x017F;tirt und ge&#x017F;chieht: und Wün&#x017F;che &#x017F;ollten keine ha-<lb/>
ben? Ich denke mir immer, Wün&#x017F;che mit Sinn, gute Wün-<lb/>
&#x017F;che, von den wahr-innigen, wo man &#x017F;o denkt &#x017F;ie müßten<lb/>
Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich<lb/>
dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können.<lb/>
Ich denke mir, &#x017F;ie gehören &#x017F;o in die Harmonie der Dinge,<lb/>
daß &#x017F;ie auch wirken. Denn obgleich nichts recht i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ieht<lb/>
man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra-<lb/>
den, die &#x017F;ie machen &#x017F;ollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün-<lb/>
&#x017F;che können auch etwas. Oder war <hi rendition="#g">das</hi> nicht eigentlich das<lb/><hi rendition="#g">größte Recht</hi>, daß ich Goethe &#x017F;ah. Wer &#x017F;oll ihn denn<lb/>
&#x017F;ehen, immer &#x017F;eine Wä&#x017F;cherin, und Hausknechte, und vornehme<lb/>
Leute, und Men&#x017F;chen, die über den Ur&#x017F;prung der Steine und<lb/>
über Recht &#x017F;chreiben und &#xA75B;c.? Ich danke Ihnen auch wie ich<lb/>
&#x017F;oll, und <hi rendition="#g">wie Sie&#x2019;s nur wün&#x017F;chen</hi> können, für den An-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0162] wie denn jedes Evenement eine iſt, weil es ſo und nicht an- ders geſchieht — ich mußte mich Dienstag entſchließen, Mitt- woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen Karakter bekommen, ſtarkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe- the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt’ auch denken, und hinreiſen, in dieſen kleinen Berg-Einſchuß, wo ich grade bin, und die Welt iſt ſo breit, ſo groß. Und das iſt nicht Wunder? das iſt nicht Glück? Zwar — heut, könn- ten Sie glauben, ſag’ ich Ihnen alle meine Thorheiten — ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich gar nicht erklären, was Bewegung iſt. Wenn ich nach etwas lange, greif’ ich es, und nehme es. Ja das iſt gut; aber wie iſt das. Nun denk’ ich mir immer, alles hat Wirkung, was nur ſo exiſtirt und geſchieht: und Wünſche ſollten keine ha- ben? Ich denke mir immer, Wünſche mit Sinn, gute Wün- ſche, von den wahr-innigen, wo man ſo denkt ſie müßten Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können. Ich denke mir, ſie gehören ſo in die Harmonie der Dinge, daß ſie auch wirken. Denn obgleich nichts recht iſt, ſo ſieht man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra- den, die ſie machen ſollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün- ſche können auch etwas. Oder war das nicht eigentlich das größte Recht, daß ich Goethe ſah. Wer ſoll ihn denn ſehen, immer ſeine Wäſcherin, und Hausknechte, und vornehme Leute, und Menſchen, die über den Urſprung der Steine und über Recht ſchreiben und ꝛc.? Ich danke Ihnen auch wie ich ſoll, und wie Sie’s nur wünſchen können, für den An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/162
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/162>, abgerufen am 05.10.2024.