quälerei, die ihm der Ast'sche Sophokles angethan hatte, nie ganz erholen.
Der Zustand von Berlin wurde indeß täglich trau¬ riger, immer mehr Menschen sahen ihre Einkünfte ver¬ siegen, ihre Nahrung knapper werden; die Kassen zahlten nicht, die ausgeliehenen Kapitalien brachten keine Zinsen, überall sah man ängstliche Verlegenheit und dringende Noth. Mir kam sehr leicht der Gedanke, daß ich dieser Trübsal durch einen raschen Entschluß völlig entgehen könne, daß meine Lebensplane mich eigentlich zu einer wirklichen Universität drängten, und daß ein andrer Ort mir in vieler Hinsicht zum Vortheil gereichen müßte; hiezu kam der lebhafte Wunsch, meinen hamburgischen Verhältnissen näher zu sein, und allen diesen Betrach¬ tungen erschien die Universität Kiel, welche auch wegen ihrer medicinischen Lehrer sehr gerühmt wurde, am glück¬ lichsten zu entsprechen. Als ich die Absicht aussprach, zum Winter dorthin zu reisen, vereinigten sich in Berlin alle Stimmen der Freunde, mir die Sache auszureden. Besonders wurde Schleiermacher ganz liebevoll, verhieß mir in kurzem eine Universität in Berlin, rühmte meine bisherige Beharrlichkeit, und meinte, wir hallische Ver¬ triebene gehörten doch wesentlich zusammen, und müßten so lange als möglich vereinigt bleiben. Seine freund¬ lichen Worte, die mir zugleich einen festen Anhalt neu zu eröffnen schienen, machten großen Eindruck auf mich, und hatten mich im Grunde gleich gewonnen, wiewohl
quaͤlerei, die ihm der Aſt'ſche Sophokles angethan hatte, nie ganz erholen.
Der Zuſtand von Berlin wurde indeß taͤglich trau¬ riger, immer mehr Menſchen ſahen ihre Einkuͤnfte ver¬ ſiegen, ihre Nahrung knapper werden; die Kaſſen zahlten nicht, die ausgeliehenen Kapitalien brachten keine Zinſen, uͤberall ſah man aͤngſtliche Verlegenheit und dringende Noth. Mir kam ſehr leicht der Gedanke, daß ich dieſer Truͤbſal durch einen raſchen Entſchluß voͤllig entgehen koͤnne, daß meine Lebensplane mich eigentlich zu einer wirklichen Univerſitaͤt draͤngten, und daß ein andrer Ort mir in vieler Hinſicht zum Vortheil gereichen muͤßte; hiezu kam der lebhafte Wunſch, meinen hamburgiſchen Verhaͤltniſſen naͤher zu ſein, und allen dieſen Betrach¬ tungen erſchien die Univerſitaͤt Kiel, welche auch wegen ihrer mediciniſchen Lehrer ſehr geruͤhmt wurde, am gluͤck¬ lichſten zu entſprechen. Als ich die Abſicht ausſprach, zum Winter dorthin zu reiſen, vereinigten ſich in Berlin alle Stimmen der Freunde, mir die Sache auszureden. Beſonders wurde Schleiermacher ganz liebevoll, verhieß mir in kurzem eine Univerſitaͤt in Berlin, ruͤhmte meine bisherige Beharrlichkeit, und meinte, wir halliſche Ver¬ triebene gehoͤrten doch weſentlich zuſammen, und muͤßten ſo lange als moͤglich vereinigt bleiben. Seine freund¬ lichen Worte, die mir zugleich einen feſten Anhalt neu zu eroͤffnen ſchienen, machten großen Eindruck auf mich, und hatten mich im Grunde gleich gewonnen, wiewohl
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quaͤlerei, die ihm der Aſt'ſche Sophokles angethan hatte,
nie ganz erholen.
Der Zuſtand von Berlin wurde indeß taͤglich trau¬
riger, immer mehr Menſchen ſahen ihre Einkuͤnfte ver¬
ſiegen, ihre Nahrung knapper werden; die Kaſſen zahlten
nicht, die ausgeliehenen Kapitalien brachten keine Zinſen,
uͤberall ſah man aͤngſtliche Verlegenheit und dringende
Noth. Mir kam ſehr leicht der Gedanke, daß ich dieſer
Truͤbſal durch einen raſchen Entſchluß voͤllig entgehen
koͤnne, daß meine Lebensplane mich eigentlich zu einer
wirklichen Univerſitaͤt draͤngten, und daß ein andrer Ort
mir in vieler Hinſicht zum Vortheil gereichen muͤßte;
hiezu kam der lebhafte Wunſch, meinen hamburgiſchen
Verhaͤltniſſen naͤher zu ſein, und allen dieſen Betrach¬
tungen erſchien die Univerſitaͤt Kiel, welche auch wegen
ihrer mediciniſchen Lehrer ſehr geruͤhmt wurde, am gluͤck¬
lichſten zu entſprechen. Als ich die Abſicht ausſprach,
zum Winter dorthin zu reiſen, vereinigten ſich in Berlin
alle Stimmen der Freunde, mir die Sache auszureden.
Beſonders wurde Schleiermacher ganz liebevoll, verhieß
mir in kurzem eine Univerſitaͤt in Berlin, ruͤhmte meine
bisherige Beharrlichkeit, und meinte, wir halliſche Ver¬
triebene gehoͤrten doch weſentlich zuſammen, und muͤßten
ſo lange als moͤglich vereinigt bleiben. Seine freund¬
lichen Worte, die mir zugleich einen feſten Anhalt neu
zu eroͤffnen ſchienen, machten großen Eindruck auf mich,
und hatten mich im Grunde gleich gewonnen, wiewohl
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/50>, abgerufen am 24.11.2024.
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