reiche Ausdrücke ächten Dichtersinn bezeugten, aber doch als wahre Kunstgestalten in keiner Weise bestehen konn¬ ten. Die Tragödie Niobe war schon gedruckt, und sollte, wie im Vertrauen gesagt wurde, einen Strahl der Wissenschaftslehre in sich tragen, von dem man nun erwartete, ob und wie er in den Gemüthern leuchten würde. Schon aber war Schütz mit einer zweiten Tra¬ gödie dieser Art, die Gräfin von Gleichen, weit vorge¬ rückt, und sogar schon mit einer dritten beschäftigt, wozu Charlotte Corday die Heldin war, und das Pariser Volk den antiken Chor vorstellte. Ich hatte gleich gegen diese Richtung vieles einzuwenden, besonders auch gegen die metrische Bearbeitung und prosodische Willkür. Da jedoch Schütz, wenn er vom Lande auf kurze Zeit zur Stadt kam, ganz von diesen Dingen erfüllt, und mit dem schönstem Feuer seines damals noch jugendlichen Strebens darin thätig war, die Freunde zu heitrer Theil¬ nahme stimmte, und zu mannigfachen Verhandlungen, die niemals unangenehm wurden, den besten Anlaß gab, so hatten wir von seiner verfehlten Arbeit dennoch gün¬ stigen Eindruck und erwünschten Ertrag. Seinen klei¬ neren Gedichten, Romanzen und Liedern, konnten wir dagegen größtentheils unsern vollen Beifall widmen, denn obgleich er auch hier die Poesie, bisweilen als bloßes Gefäß eines mystischen Inhalts gebrauchen wollte, so wurde ihm doch gegen die Absicht meist freie Poesie daraus, nur konnte er sich von der Sprach¬
reiche Ausdruͤcke aͤchten Dichterſinn bezeugten, aber doch als wahre Kunſtgeſtalten in keiner Weiſe beſtehen konn¬ ten. Die Tragoͤdie Niobe war ſchon gedruckt, und ſollte, wie im Vertrauen geſagt wurde, einen Strahl der Wiſſenſchaftslehre in ſich tragen, von dem man nun erwartete, ob und wie er in den Gemuͤthern leuchten wuͤrde. Schon aber war Schuͤtz mit einer zweiten Tra¬ goͤdie dieſer Art, die Graͤfin von Gleichen, weit vorge¬ ruͤckt, und ſogar ſchon mit einer dritten beſchaͤftigt, wozu Charlotte Corday die Heldin war, und das Pariſer Volk den antiken Chor vorſtellte. Ich hatte gleich gegen dieſe Richtung vieles einzuwenden, beſonders auch gegen die metriſche Bearbeitung und proſodiſche Willkuͤr. Da jedoch Schuͤtz, wenn er vom Lande auf kurze Zeit zur Stadt kam, ganz von dieſen Dingen erfuͤllt, und mit dem ſchoͤnſtem Feuer ſeines damals noch jugendlichen Strebens darin thaͤtig war, die Freunde zu heitrer Theil¬ nahme ſtimmte, und zu mannigfachen Verhandlungen, die niemals unangenehm wurden, den beſten Anlaß gab, ſo hatten wir von ſeiner verfehlten Arbeit dennoch guͤn¬ ſtigen Eindruck und erwuͤnſchten Ertrag. Seinen klei¬ neren Gedichten, Romanzen und Liedern, konnten wir dagegen groͤßtentheils unſern vollen Beifall widmen, denn obgleich er auch hier die Poeſie, bisweilen als bloßes Gefaͤß eines myſtiſchen Inhalts gebrauchen wollte, ſo wurde ihm doch gegen die Abſicht meiſt freie Poeſie daraus, nur konnte er ſich von der Sprach¬
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reiche Ausdruͤcke aͤchten Dichterſinn bezeugten, aber doch
als wahre Kunſtgeſtalten in keiner Weiſe beſtehen konn¬
ten. Die Tragoͤdie Niobe war ſchon gedruckt, und
ſollte, wie im Vertrauen geſagt wurde, einen Strahl
der Wiſſenſchaftslehre in ſich tragen, von dem man nun
erwartete, ob und wie er in den Gemuͤthern leuchten
wuͤrde. Schon aber war Schuͤtz mit einer zweiten Tra¬
goͤdie dieſer Art, die Graͤfin von Gleichen, weit vorge¬
ruͤckt, und ſogar ſchon mit einer dritten beſchaͤftigt, wozu
Charlotte Corday die Heldin war, und das Pariſer Volk
den antiken Chor vorſtellte. Ich hatte gleich gegen
dieſe Richtung vieles einzuwenden, beſonders auch gegen
die metriſche Bearbeitung und proſodiſche Willkuͤr. Da
jedoch Schuͤtz, wenn er vom Lande auf kurze Zeit zur
Stadt kam, ganz von dieſen Dingen erfuͤllt, und mit
dem ſchoͤnſtem Feuer ſeines damals noch jugendlichen
Strebens darin thaͤtig war, die Freunde zu heitrer Theil¬
nahme ſtimmte, und zu mannigfachen Verhandlungen,
die niemals unangenehm wurden, den beſten Anlaß gab,
ſo hatten wir von ſeiner verfehlten Arbeit dennoch guͤn¬
ſtigen Eindruck und erwuͤnſchten Ertrag. Seinen klei¬
neren Gedichten, Romanzen und Liedern, konnten wir
dagegen groͤßtentheils unſern vollen Beifall widmen,
denn obgleich er auch hier die Poeſie, bisweilen als
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ſo wurde ihm doch gegen die Abſicht meiſt freie
Poeſie daraus, nur konnte er ſich von der Sprach¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/49>, abgerufen am 24.11.2024.
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