konnte nur sagen, was nicht nöthig war zu sagen, denn der Wille und die Gesinnung bedurfte keiner Be¬ arbeitung, sondern nur Vertrauen auf sich selbst und auf nahen Beistand; letzterer mußte fremden Mächten durch kluges und glückliches Unterhandeln gleichsam abgezwungen, ersteres in dem gährenden Volke selbst entwickelt werden, und freilich ist eine Bevölkerung von 150,000 Menschen ein Stoff, aus dem sich un¬ endliche Kräfte entwickeln können; wo ein solcher ge¬ geben ist, darf man nichts für unmöglich halten, man mußte wenigstens abwarten, was für Mittel noch an das Licht treten würden, denn was ein Volk thun wird, läßt sich nicht berechnen noch vorhersehn, und man durfte Hamburg nicht aufgeben, so lange es sich nicht selbst aufgab. Die Bürgergarde war der kleinste Theil des Volks. Sie war durch den anhaltenden Biwak während einer regnigten Zeit, und durch den vielen, von ihr aus großem Eifer sogar übertriebenen Dienst, nach wenigen Tagen erschöpft, und unzufrieden begehrten Viele nach Hause. Es wäre den Meisten recht lieb gewesen, von Tettenborn angeführt mit gan¬ zer Macht sich in offnen Kampf zu stürzen, und in blutiger aber kurzer Entscheidung Tod oder Freiheit zu suchen; allein solcherlei Ausführung war weder rathsam noch möglich. Die Oertlichkeit einer überall durch¬ schnittenen Gegend, die an unzähligen Stellen bewacht werden mußte, durch Wasser, Dämme, Schiffe, Häu¬
konnte nur ſagen, was nicht noͤthig war zu ſagen, denn der Wille und die Geſinnung bedurfte keiner Be¬ arbeitung, ſondern nur Vertrauen auf ſich ſelbſt und auf nahen Beiſtand; letzterer mußte fremden Maͤchten durch kluges und gluͤckliches Unterhandeln gleichſam abgezwungen, erſteres in dem gaͤhrenden Volke ſelbſt entwickelt werden, und freilich iſt eine Bevoͤlkerung von 150,000 Menſchen ein Stoff, aus dem ſich un¬ endliche Kraͤfte entwickeln koͤnnen; wo ein ſolcher ge¬ geben iſt, darf man nichts fuͤr unmoͤglich halten, man mußte wenigſtens abwarten, was fuͤr Mittel noch an das Licht treten wuͤrden, denn was ein Volk thun wird, laͤßt ſich nicht berechnen noch vorherſehn, und man durfte Hamburg nicht aufgeben, ſo lange es ſich nicht ſelbſt aufgab. Die Buͤrgergarde war der kleinſte Theil des Volks. Sie war durch den anhaltenden Biwak waͤhrend einer regnigten Zeit, und durch den vielen, von ihr aus großem Eifer ſogar uͤbertriebenen Dienſt, nach wenigen Tagen erſchoͤpft, und unzufrieden begehrten Viele nach Hauſe. Es waͤre den Meiſten recht lieb geweſen, von Tettenborn angefuͤhrt mit gan¬ zer Macht ſich in offnen Kampf zu ſtuͤrzen, und in blutiger aber kurzer Entſcheidung Tod oder Freiheit zu ſuchen; allein ſolcherlei Ausfuͤhrung war weder rathſam noch moͤglich. Die Oertlichkeit einer uͤberall durch¬ ſchnittenen Gegend, die an unzaͤhligen Stellen bewacht werden mußte, durch Waſſer, Daͤmme, Schiffe, Haͤu¬
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konnte nur ſagen, was nicht noͤthig war zu ſagen,
denn der Wille und die Geſinnung bedurfte keiner Be¬
arbeitung, ſondern nur Vertrauen auf ſich ſelbſt und
auf nahen Beiſtand; letzterer mußte fremden Maͤchten
durch kluges und gluͤckliches Unterhandeln gleichſam
abgezwungen, erſteres in dem gaͤhrenden Volke ſelbſt
entwickelt werden, und freilich iſt eine Bevoͤlkerung
von 150,000 Menſchen ein Stoff, aus dem ſich un¬
endliche Kraͤfte entwickeln koͤnnen; wo ein ſolcher ge¬
geben iſt, darf man nichts fuͤr unmoͤglich halten, man
mußte wenigſtens abwarten, was fuͤr Mittel noch an
das Licht treten wuͤrden, denn was ein Volk thun
wird, laͤßt ſich nicht berechnen noch vorherſehn, und
man durfte Hamburg nicht aufgeben, ſo lange es ſich
nicht ſelbſt aufgab. Die Buͤrgergarde war der kleinſte
Theil des Volks. Sie war durch den anhaltenden
Biwak waͤhrend einer regnigten Zeit, und durch den
vielen, von ihr aus großem Eifer ſogar uͤbertriebenen
Dienſt, nach wenigen Tagen erſchoͤpft, und unzufrieden
begehrten Viele nach Hauſe. Es waͤre den Meiſten
recht lieb geweſen, von Tettenborn angefuͤhrt mit gan¬
zer Macht ſich in offnen Kampf zu ſtuͤrzen, und in
blutiger aber kurzer Entſcheidung Tod oder Freiheit zu
ſuchen; allein ſolcherlei Ausfuͤhrung war weder rathſam
noch moͤglich. Die Oertlichkeit einer uͤberall durch¬
ſchnittenen Gegend, die an unzaͤhligen Stellen bewacht
werden mußte, durch Waſſer, Daͤmme, Schiffe, Haͤu¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/372>, abgerufen am 22.11.2024.
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