Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

benswürdigkeit nahm er mich auf, er hatte meinen
Vater kaum, aber noch sehr wohl meinen Großvater
gekannt; meine Beziehung zu Fichte und mein Eifer
für die neuere Poesie regten sein besonderes Interesse
und ich darf sagen seine lebhafte Neugier auf, denn es
war das erstemal, daß ihm ein Jünger aus jenem
Kreise persönlich vor Augen stand, und dieses lebendige
Beispiel gab ihm einen offnen Blick in diese Zustände
und Gesinnungen, von denen so viel Abentheuerliches
im Schwange ging, und in sein eignes Verhältniß zu
denselben, wie er denn kaum erwartet hatte, dort noch
so gut zu stehen und so gerechnet zu werden, wie er
an mir es erkennen mußte. Er führte mich zu seinen
beiden Schwestern, in welchen mich die niederrheinische
Natur stärker ansprach, als in ihm, der in allgemeiner
geistigen Bildung das Oertliche oder Provinzielle mehr
überwunden hatte. Da er bei Sievekings im Hause
wohnte, wurde ich seinetwegen daselbst eingeladen, wo
ich mich in einer großen gemischten Gesellschaft von
Herren und Damen fand, aber nicht ahnete, daß ich
es war, auf den diese Versammlung ihr Augenmerk
vorzüglich richtete. Denn Jacobi hatte das Wunder
erzählt, daß er unvermuthet einen Landsmann gefunden,
der noch nicht lange von Berlin gekommen, und ein
eifriger Schlegelianer sei, und nun hatten es die Andern
recht darauf angelegt, mich auf die Probe zu stellen.
Jacobi redete mich über Tisch bei allgemeiner Stille

benswuͤrdigkeit nahm er mich auf, er hatte meinen
Vater kaum, aber noch ſehr wohl meinen Großvater
gekannt; meine Beziehung zu Fichte und mein Eifer
fuͤr die neuere Poeſie regten ſein beſonderes Intereſſe
und ich darf ſagen ſeine lebhafte Neugier auf, denn es
war das erſtemal, daß ihm ein Juͤnger aus jenem
Kreiſe perſoͤnlich vor Augen ſtand, und dieſes lebendige
Beiſpiel gab ihm einen offnen Blick in dieſe Zuſtaͤnde
und Geſinnungen, von denen ſo viel Abentheuerliches
im Schwange ging, und in ſein eignes Verhaͤltniß zu
denſelben, wie er denn kaum erwartet hatte, dort noch
ſo gut zu ſtehen und ſo gerechnet zu werden, wie er
an mir es erkennen mußte. Er fuͤhrte mich zu ſeinen
beiden Schweſtern, in welchen mich die niederrheiniſche
Natur ſtaͤrker anſprach, als in ihm, der in allgemeiner
geiſtigen Bildung das Oertliche oder Provinzielle mehr
uͤberwunden hatte. Da er bei Sievekings im Hauſe
wohnte, wurde ich ſeinetwegen daſelbſt eingeladen, wo
ich mich in einer großen gemiſchten Geſellſchaft von
Herren und Damen fand, aber nicht ahnete, daß ich
es war, auf den dieſe Verſammlung ihr Augenmerk
vorzuͤglich richtete. Denn Jacobi hatte das Wunder
erzaͤhlt, daß er unvermuthet einen Landsmann gefunden,
der noch nicht lange von Berlin gekommen, und ein
eifriger Schlegelianer ſei, und nun hatten es die Andern
recht darauf angelegt, mich auf die Probe zu ſtellen.
Jacobi redete mich uͤber Tiſch bei allgemeiner Stille

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="72"/>
benswu&#x0364;rdigkeit nahm er mich auf, er hatte meinen<lb/>
Vater kaum, aber noch &#x017F;ehr wohl meinen Großvater<lb/>
gekannt; meine Beziehung zu Fichte und mein Eifer<lb/>
fu&#x0364;r die neuere Poe&#x017F;ie regten &#x017F;ein be&#x017F;onderes Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und ich darf &#x017F;agen &#x017F;eine lebhafte Neugier auf, denn es<lb/>
war das er&#x017F;temal, daß ihm ein Ju&#x0364;nger aus jenem<lb/>
Krei&#x017F;e per&#x017F;o&#x0364;nlich vor Augen &#x017F;tand, und die&#x017F;es lebendige<lb/>
Bei&#x017F;piel gab ihm einen offnen Blick in die&#x017F;e Zu&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
und Ge&#x017F;innungen, von denen &#x017F;o viel Abentheuerliches<lb/>
im Schwange ging, und in &#x017F;ein eignes Verha&#x0364;ltniß zu<lb/>
den&#x017F;elben, wie er denn kaum erwartet hatte, dort noch<lb/>
&#x017F;o gut zu &#x017F;tehen und &#x017F;o gerechnet zu werden, wie er<lb/>
an mir es erkennen mußte. Er fu&#x0364;hrte mich zu &#x017F;einen<lb/>
beiden Schwe&#x017F;tern, in welchen mich die niederrheini&#x017F;che<lb/>
Natur &#x017F;ta&#x0364;rker an&#x017F;prach, als in ihm, der in allgemeiner<lb/>
gei&#x017F;tigen Bildung das Oertliche oder Provinzielle mehr<lb/>
u&#x0364;berwunden hatte. Da er bei Sievekings im Hau&#x017F;e<lb/>
wohnte, wurde ich &#x017F;einetwegen da&#x017F;elb&#x017F;t eingeladen, wo<lb/>
ich mich in einer großen gemi&#x017F;chten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von<lb/>
Herren und Damen fand, aber nicht ahnete, daß ich<lb/>
es war, auf den die&#x017F;e Ver&#x017F;ammlung ihr Augenmerk<lb/>
vorzu&#x0364;glich richtete. Denn Jacobi hatte das Wunder<lb/>
erza&#x0364;hlt, daß er unvermuthet einen Landsmann gefunden,<lb/>
der noch nicht lange von Berlin gekommen, und ein<lb/>
eifriger Schlegelianer &#x017F;ei, und nun hatten es die Andern<lb/>
recht darauf angelegt, mich auf die Probe zu &#x017F;tellen.<lb/>
Jacobi redete mich u&#x0364;ber Ti&#x017F;ch bei allgemeiner Stille<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0086] benswuͤrdigkeit nahm er mich auf, er hatte meinen Vater kaum, aber noch ſehr wohl meinen Großvater gekannt; meine Beziehung zu Fichte und mein Eifer fuͤr die neuere Poeſie regten ſein beſonderes Intereſſe und ich darf ſagen ſeine lebhafte Neugier auf, denn es war das erſtemal, daß ihm ein Juͤnger aus jenem Kreiſe perſoͤnlich vor Augen ſtand, und dieſes lebendige Beiſpiel gab ihm einen offnen Blick in dieſe Zuſtaͤnde und Geſinnungen, von denen ſo viel Abentheuerliches im Schwange ging, und in ſein eignes Verhaͤltniß zu denſelben, wie er denn kaum erwartet hatte, dort noch ſo gut zu ſtehen und ſo gerechnet zu werden, wie er an mir es erkennen mußte. Er fuͤhrte mich zu ſeinen beiden Schweſtern, in welchen mich die niederrheiniſche Natur ſtaͤrker anſprach, als in ihm, der in allgemeiner geiſtigen Bildung das Oertliche oder Provinzielle mehr uͤberwunden hatte. Da er bei Sievekings im Hauſe wohnte, wurde ich ſeinetwegen daſelbſt eingeladen, wo ich mich in einer großen gemiſchten Geſellſchaft von Herren und Damen fand, aber nicht ahnete, daß ich es war, auf den dieſe Verſammlung ihr Augenmerk vorzuͤglich richtete. Denn Jacobi hatte das Wunder erzaͤhlt, daß er unvermuthet einen Landsmann gefunden, der noch nicht lange von Berlin gekommen, und ein eifriger Schlegelianer ſei, und nun hatten es die Andern recht darauf angelegt, mich auf die Probe zu ſtellen. Jacobi redete mich uͤber Tiſch bei allgemeiner Stille

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/86
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/86>, abgerufen am 01.05.2024.