Schweiz, was wir nicht umhin konnten ihr zur Ehre zu rechnen, obgleich wir es ihm verdachten. Ungefähr in dieser Zeit kam auch Johann von Müller von Wien, um in Berlin eine höchst liberale Anstellung zu genie¬ ßen, und der Geschichtschreiber Friedrich des Großen zu werden. Auch diese Erscheinung machte Aufsehen, und der Name klang uns bedeutungsvoll entgegen, wenn auch wenigstens mir der Mann selbst damals noch nicht bekannt wurde. Noch ehe der Sommer kam, und be¬ vor die Freunde sich dahin und dorthin nach ihrem Be¬ rufe zerstreut hatten, schien auch für mich die Nothwen¬ digkeit eines Entschlusses zur Aenderung meiner Lage sich dringender aufzustellen. Mir waren neue Lockungen, Entwürfe und Aussichten zum Studiren geworden, dann mußte ich mein bisheriges Verhältniß als völlig unter¬ höhlt erkennen, ich konnte meiner Arbeit auf diesem Boden täglich weniger Frucht und Gedeihen versprechen, auch seine Lebensblüthen für mich waren abgeblüht.
Nach einigen Rathschlägen und Ueberlegen schied ich aus dem Hause, nicht ohne den innigsten Schmerz; denn die theuersten Erinnerungen und die treuste An¬ hänglichkeit hielten mich ihm auf immer verknüpft. Ich zog zu Chamisso, der mir gastliche Zuflucht angeboten hatte. In dieser Zeit machte ich mit dem Grafen Casa- Valencia nähere Bekanntschaft. Wir lasen zusammen deutsche und spanische Gedichte, ich erklärte ihm jene, er mir diese. Er selbst war ein glücklicher Dichter,
Schweiz, was wir nicht umhin konnten ihr zur Ehre zu rechnen, obgleich wir es ihm verdachten. Ungefaͤhr in dieſer Zeit kam auch Johann von Muͤller von Wien, um in Berlin eine hoͤchſt liberale Anſtellung zu genie¬ ßen, und der Geſchichtſchreiber Friedrich des Großen zu werden. Auch dieſe Erſcheinung machte Aufſehen, und der Name klang uns bedeutungsvoll entgegen, wenn auch wenigſtens mir der Mann ſelbſt damals noch nicht bekannt wurde. Noch ehe der Sommer kam, und be¬ vor die Freunde ſich dahin und dorthin nach ihrem Be¬ rufe zerſtreut hatten, ſchien auch fuͤr mich die Nothwen¬ digkeit eines Entſchluſſes zur Aenderung meiner Lage ſich dringender aufzuſtellen. Mir waren neue Lockungen, Entwuͤrfe und Ausſichten zum Studiren geworden, dann mußte ich mein bisheriges Verhaͤltniß als voͤllig unter¬ hoͤhlt erkennen, ich konnte meiner Arbeit auf dieſem Boden taͤglich weniger Frucht und Gedeihen verſprechen, auch ſeine Lebensbluͤthen fuͤr mich waren abgebluͤht.
Nach einigen Rathſchlaͤgen und Ueberlegen ſchied ich aus dem Hauſe, nicht ohne den innigſten Schmerz; denn die theuerſten Erinnerungen und die treuſte An¬ haͤnglichkeit hielten mich ihm auf immer verknuͤpft. Ich zog zu Chamiſſo, der mir gaſtliche Zuflucht angeboten hatte. In dieſer Zeit machte ich mit dem Grafen Caſa- Valencia naͤhere Bekanntſchaft. Wir laſen zuſammen deutſche und ſpaniſche Gedichte, ich erklaͤrte ihm jene, er mir dieſe. Er ſelbſt war ein gluͤcklicher Dichter,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0078"n="64"/>
Schweiz, was wir nicht umhin konnten ihr zur Ehre<lb/>
zu rechnen, obgleich wir es ihm verdachten. Ungefaͤhr<lb/>
in dieſer Zeit kam auch Johann von Muͤller von Wien,<lb/>
um in Berlin eine hoͤchſt liberale Anſtellung zu genie¬<lb/>
ßen, und der Geſchichtſchreiber Friedrich des Großen zu<lb/>
werden. Auch dieſe Erſcheinung machte Aufſehen, und<lb/>
der Name klang uns bedeutungsvoll entgegen, wenn<lb/>
auch wenigſtens mir der Mann ſelbſt damals noch nicht<lb/>
bekannt wurde. Noch ehe der Sommer kam, und be¬<lb/>
vor die Freunde ſich dahin und dorthin nach ihrem Be¬<lb/>
rufe zerſtreut hatten, ſchien auch fuͤr mich die Nothwen¬<lb/>
digkeit eines Entſchluſſes zur Aenderung meiner Lage<lb/>ſich dringender aufzuſtellen. Mir waren neue Lockungen,<lb/>
Entwuͤrfe und Ausſichten zum Studiren geworden, dann<lb/>
mußte ich mein bisheriges Verhaͤltniß als voͤllig unter¬<lb/>
hoͤhlt erkennen, ich konnte meiner Arbeit auf dieſem<lb/>
Boden taͤglich weniger Frucht und Gedeihen verſprechen,<lb/>
auch ſeine Lebensbluͤthen fuͤr mich waren abgebluͤht.</p><lb/><p>Nach einigen Rathſchlaͤgen und Ueberlegen ſchied<lb/>
ich aus dem Hauſe, nicht ohne den innigſten Schmerz;<lb/>
denn die theuerſten Erinnerungen und die treuſte An¬<lb/>
haͤnglichkeit hielten mich ihm auf immer verknuͤpft. Ich<lb/>
zog zu Chamiſſo, der mir gaſtliche Zuflucht angeboten<lb/>
hatte. In dieſer Zeit machte ich mit dem Grafen Caſa-<lb/>
Valencia naͤhere Bekanntſchaft. Wir laſen zuſammen<lb/>
deutſche und ſpaniſche Gedichte, ich erklaͤrte ihm jene,<lb/>
er mir dieſe. Er ſelbſt war ein gluͤcklicher Dichter,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0078]
Schweiz, was wir nicht umhin konnten ihr zur Ehre
zu rechnen, obgleich wir es ihm verdachten. Ungefaͤhr
in dieſer Zeit kam auch Johann von Muͤller von Wien,
um in Berlin eine hoͤchſt liberale Anſtellung zu genie¬
ßen, und der Geſchichtſchreiber Friedrich des Großen zu
werden. Auch dieſe Erſcheinung machte Aufſehen, und
der Name klang uns bedeutungsvoll entgegen, wenn
auch wenigſtens mir der Mann ſelbſt damals noch nicht
bekannt wurde. Noch ehe der Sommer kam, und be¬
vor die Freunde ſich dahin und dorthin nach ihrem Be¬
rufe zerſtreut hatten, ſchien auch fuͤr mich die Nothwen¬
digkeit eines Entſchluſſes zur Aenderung meiner Lage
ſich dringender aufzuſtellen. Mir waren neue Lockungen,
Entwuͤrfe und Ausſichten zum Studiren geworden, dann
mußte ich mein bisheriges Verhaͤltniß als voͤllig unter¬
hoͤhlt erkennen, ich konnte meiner Arbeit auf dieſem
Boden taͤglich weniger Frucht und Gedeihen verſprechen,
auch ſeine Lebensbluͤthen fuͤr mich waren abgebluͤht.
Nach einigen Rathſchlaͤgen und Ueberlegen ſchied
ich aus dem Hauſe, nicht ohne den innigſten Schmerz;
denn die theuerſten Erinnerungen und die treuſte An¬
haͤnglichkeit hielten mich ihm auf immer verknuͤpft. Ich
zog zu Chamiſſo, der mir gaſtliche Zuflucht angeboten
hatte. In dieſer Zeit machte ich mit dem Grafen Caſa-
Valencia naͤhere Bekanntſchaft. Wir laſen zuſammen
deutſche und ſpaniſche Gedichte, ich erklaͤrte ihm jene,
er mir dieſe. Er ſelbſt war ein gluͤcklicher Dichter,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/78>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.