Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

er die Medizin Hand in Hand gehen, ein Sonett und
ein Rezept waren in seiner Darstellung nur verschiedene
Ausflüsse derselben Göttlichkeit. Genug, es war ihm
ausgemacht, daß ich den Homer und Platon griechisch
lesen, aber daneben Schelling und Reil studiren, und
zugleich eigne Dichtungen hervorbringen müsse. Seine
Vorstellungen waren lebhaft, eindringlich, bezaubernd,
sein eignes Beispiel wirkte verführerisch, denn selten mag
sich in einem Menschen ein solch angeborner Sinn und
Geist für die Heilkunst mit so zustimmend entwickelter
allgemeinen Bildung vereinigen, wie in Koreff der Fall
war, der auch als Student schon nach allen Weltseiten
hin ein gemachter Mann war, und als Arzt vielfach in
Anspruch genommen wurde. --

Im Frühjahr 1804 sah Berlin bedeutende littera¬
rische Gäste. Schillers Anwesenheit erregte große Be¬
wegung; nicht nur in allen Gesellschaftskreisen bemühte
man sich um ihn, auch im Theater und auf der Straße
vor seiner Wohnung schallte ihm der Jubel entgegen.
Leider hab' ich ihn nicht gesehen, ich war grade ver¬
stimmt, und mochte die Gelegenheit, die ich besonders
bei Fichte sehr gut finden konnte, nicht aufsuchen. Ebenso
entging mir Frau von Stael, von der allgemein ge¬
sprochen wurde, und die uns schneller, als ihre Absicht
war, wieder entschwand, weil sie die Nachricht von der
lebensgefährlichen Krankheit ihres Vaters empfangen
hatte. Sie entführte Schlegel'n mit sich nach der

er die Medizin Hand in Hand gehen, ein Sonett und
ein Rezept waren in ſeiner Darſtellung nur verſchiedene
Ausfluͤſſe derſelben Goͤttlichkeit. Genug, es war ihm
ausgemacht, daß ich den Homer und Platon griechiſch
leſen, aber daneben Schelling und Reil ſtudiren, und
zugleich eigne Dichtungen hervorbringen muͤſſe. Seine
Vorſtellungen waren lebhaft, eindringlich, bezaubernd,
ſein eignes Beiſpiel wirkte verfuͤhreriſch, denn ſelten mag
ſich in einem Menſchen ein ſolch angeborner Sinn und
Geiſt fuͤr die Heilkunſt mit ſo zuſtimmend entwickelter
allgemeinen Bildung vereinigen, wie in Koreff der Fall
war, der auch als Student ſchon nach allen Weltſeiten
hin ein gemachter Mann war, und als Arzt vielfach in
Anſpruch genommen wurde. —

Im Fruͤhjahr 1804 ſah Berlin bedeutende littera¬
riſche Gaͤſte. Schillers Anweſenheit erregte große Be¬
wegung; nicht nur in allen Geſellſchaftskreiſen bemuͤhte
man ſich um ihn, auch im Theater und auf der Straße
vor ſeiner Wohnung ſchallte ihm der Jubel entgegen.
Leider hab' ich ihn nicht geſehen, ich war grade ver¬
ſtimmt, und mochte die Gelegenheit, die ich beſonders
bei Fichte ſehr gut finden konnte, nicht aufſuchen. Ebenſo
entging mir Frau von Staël, von der allgemein ge¬
ſprochen wurde, und die uns ſchneller, als ihre Abſicht
war, wieder entſchwand, weil ſie die Nachricht von der
lebensgefaͤhrlichen Krankheit ihres Vaters empfangen
hatte. Sie entfuͤhrte Schlegel'n mit ſich nach der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0077" n="63"/>
er die Medizin Hand in Hand gehen, ein Sonett und<lb/>
ein Rezept waren in &#x017F;einer Dar&#x017F;tellung nur ver&#x017F;chiedene<lb/>
Ausflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben Go&#x0364;ttlichkeit. Genug, es war ihm<lb/>
ausgemacht, daß ich den Homer und Platon griechi&#x017F;ch<lb/>
le&#x017F;en, aber daneben Schelling und Reil &#x017F;tudiren, und<lb/>
zugleich eigne Dichtungen hervorbringen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Seine<lb/>
Vor&#x017F;tellungen waren lebhaft, eindringlich, bezaubernd,<lb/>
&#x017F;ein eignes Bei&#x017F;piel wirkte verfu&#x0364;hreri&#x017F;ch, denn &#x017F;elten mag<lb/>
&#x017F;ich in einem Men&#x017F;chen ein &#x017F;olch angeborner Sinn und<lb/>
Gei&#x017F;t fu&#x0364;r die Heilkun&#x017F;t mit &#x017F;o zu&#x017F;timmend entwickelter<lb/>
allgemeinen Bildung vereinigen, wie in Koreff der Fall<lb/>
war, der auch als Student &#x017F;chon nach allen Welt&#x017F;eiten<lb/>
hin ein gemachter Mann war, und als Arzt vielfach in<lb/>
An&#x017F;pruch genommen wurde. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Im Fru&#x0364;hjahr <hi rendition="#b">1804</hi> &#x017F;ah Berlin bedeutende littera¬<lb/>
ri&#x017F;che Ga&#x0364;&#x017F;te. Schillers Anwe&#x017F;enheit erregte große Be¬<lb/>
wegung; nicht nur in allen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftskrei&#x017F;en bemu&#x0364;hte<lb/>
man &#x017F;ich um ihn, auch im Theater und auf der Straße<lb/>
vor &#x017F;einer Wohnung &#x017F;challte ihm der Jubel entgegen.<lb/>
Leider hab' ich ihn nicht ge&#x017F;ehen, ich war grade ver¬<lb/>
&#x017F;timmt, und mochte die Gelegenheit, die ich be&#x017F;onders<lb/>
bei Fichte &#x017F;ehr gut finden konnte, nicht auf&#x017F;uchen. Eben&#x017F;o<lb/>
entging mir Frau von Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l, von der allgemein ge¬<lb/>
&#x017F;prochen wurde, und die uns &#x017F;chneller, als ihre Ab&#x017F;icht<lb/>
war, wieder ent&#x017F;chwand, weil &#x017F;ie die Nachricht von der<lb/>
lebensgefa&#x0364;hrlichen Krankheit ihres Vaters empfangen<lb/>
hatte. Sie entfu&#x0364;hrte Schlegel'n mit &#x017F;ich nach der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0077] er die Medizin Hand in Hand gehen, ein Sonett und ein Rezept waren in ſeiner Darſtellung nur verſchiedene Ausfluͤſſe derſelben Goͤttlichkeit. Genug, es war ihm ausgemacht, daß ich den Homer und Platon griechiſch leſen, aber daneben Schelling und Reil ſtudiren, und zugleich eigne Dichtungen hervorbringen muͤſſe. Seine Vorſtellungen waren lebhaft, eindringlich, bezaubernd, ſein eignes Beiſpiel wirkte verfuͤhreriſch, denn ſelten mag ſich in einem Menſchen ein ſolch angeborner Sinn und Geiſt fuͤr die Heilkunſt mit ſo zuſtimmend entwickelter allgemeinen Bildung vereinigen, wie in Koreff der Fall war, der auch als Student ſchon nach allen Weltſeiten hin ein gemachter Mann war, und als Arzt vielfach in Anſpruch genommen wurde. — Im Fruͤhjahr 1804 ſah Berlin bedeutende littera¬ riſche Gaͤſte. Schillers Anweſenheit erregte große Be¬ wegung; nicht nur in allen Geſellſchaftskreiſen bemuͤhte man ſich um ihn, auch im Theater und auf der Straße vor ſeiner Wohnung ſchallte ihm der Jubel entgegen. Leider hab' ich ihn nicht geſehen, ich war grade ver¬ ſtimmt, und mochte die Gelegenheit, die ich beſonders bei Fichte ſehr gut finden konnte, nicht aufſuchen. Ebenſo entging mir Frau von Staël, von der allgemein ge¬ ſprochen wurde, und die uns ſchneller, als ihre Abſicht war, wieder entſchwand, weil ſie die Nachricht von der lebensgefaͤhrlichen Krankheit ihres Vaters empfangen hatte. Sie entfuͤhrte Schlegel'n mit ſich nach der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/77
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/77>, abgerufen am 01.05.2024.