seines Vaters, und seine Mutter berief ihn dringend nach Caen, wo er fortan ihr zum Trost immer verblei¬ ben sollte. In dieser Zeit grade schlossen sich aufs innigste unsre Herzen aneinander, unsre Empfindungen, Vorsätze und Geistesrichtungen entfalteten und erhoben sich auf den Schwingen der glühendsten Vereinbarung, unser Vertrauen kannte keinen Rückhalt, alles Aeußere lag zwischen uns wie vernichtet. Als Haupt und Mei¬ ster unsres Bundes stand jetzt entschieden Koreff da, welcher an Kenntnissen und Geistesregsamkeit uns Alle übertraf, und durch sein tiefergriffenes Gemüth, in wel¬ chem eine hoffnungsvolle Leidenschaft mehr und mehr aufwogte, und ihn weicher und lyrischer stimmte, wie durch seine verschwenderische Phantasie uns hinriß und fesselte. Was wir noch zu lernen hatten, war ihm längst erworben, er gab uns Anleitung und Rath, selbst den ersten Unterricht, zum Beispiel im Griechischen, wollte er bestreiten. Seine Liebe und sein Willen für uns zeigten sich gränzenlos. Besonders mir galt seine Zuneigung und Aufmunterung. Er tadelte mich heftig, daß ich der Medizin entsagen wolle, er pries die gött¬ liche Heilkunst als den erhabensten Beruf, er stellte sie in das hellste poetische Licht, und versetzte sie aus dem dürftigen Boden, auf welchem ich sie nur kannte, in Mitte alles Ideenreichthums der Naturphilosophie, die mir durch ihn zuerst aufging, als auf ihr wahres Ge¬ biet, wo sie als Königin schalte. Mit der Poesie ließ
ſeines Vaters, und ſeine Mutter berief ihn dringend nach Caen, wo er fortan ihr zum Troſt immer verblei¬ ben ſollte. In dieſer Zeit grade ſchloſſen ſich aufs innigſte unſre Herzen aneinander, unſre Empfindungen, Vorſaͤtze und Geiſtesrichtungen entfalteten und erhoben ſich auf den Schwingen der gluͤhendſten Vereinbarung, unſer Vertrauen kannte keinen Ruͤckhalt, alles Aeußere lag zwiſchen uns wie vernichtet. Als Haupt und Mei¬ ſter unſres Bundes ſtand jetzt entſchieden Koreff da, welcher an Kenntniſſen und Geiſtesregſamkeit uns Alle uͤbertraf, und durch ſein tiefergriffenes Gemuͤth, in wel¬ chem eine hoffnungsvolle Leidenſchaft mehr und mehr aufwogte, und ihn weicher und lyriſcher ſtimmte, wie durch ſeine verſchwenderiſche Phantaſie uns hinriß und feſſelte. Was wir noch zu lernen hatten, war ihm laͤngſt erworben, er gab uns Anleitung und Rath, ſelbſt den erſten Unterricht, zum Beiſpiel im Griechiſchen, wollte er beſtreiten. Seine Liebe und ſein Willen fuͤr uns zeigten ſich graͤnzenlos. Beſonders mir galt ſeine Zuneigung und Aufmunterung. Er tadelte mich heftig, daß ich der Medizin entſagen wolle, er pries die goͤtt¬ liche Heilkunſt als den erhabenſten Beruf, er ſtellte ſie in das hellſte poetiſche Licht, und verſetzte ſie aus dem duͤrftigen Boden, auf welchem ich ſie nur kannte, in Mitte alles Ideenreichthums der Naturphiloſophie, die mir durch ihn zuerſt aufging, als auf ihr wahres Ge¬ biet, wo ſie als Koͤnigin ſchalte. Mit der Poeſie ließ
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ſeines Vaters, und ſeine Mutter berief ihn dringend
nach Caen, wo er fortan ihr zum Troſt immer verblei¬
ben ſollte. In dieſer Zeit grade ſchloſſen ſich aufs
innigſte unſre Herzen aneinander, unſre Empfindungen,
Vorſaͤtze und Geiſtesrichtungen entfalteten und erhoben
ſich auf den Schwingen der gluͤhendſten Vereinbarung,
unſer Vertrauen kannte keinen Ruͤckhalt, alles Aeußere
lag zwiſchen uns wie vernichtet. Als Haupt und Mei¬
ſter unſres Bundes ſtand jetzt entſchieden Koreff da,
welcher an Kenntniſſen und Geiſtesregſamkeit uns Alle
uͤbertraf, und durch ſein tiefergriffenes Gemuͤth, in wel¬
chem eine hoffnungsvolle Leidenſchaft mehr und mehr
aufwogte, und ihn weicher und lyriſcher ſtimmte, wie
durch ſeine verſchwenderiſche Phantaſie uns hinriß und
feſſelte. Was wir noch zu lernen hatten, war ihm
laͤngſt erworben, er gab uns Anleitung und Rath, ſelbſt
den erſten Unterricht, zum Beiſpiel im Griechiſchen,
wollte er beſtreiten. Seine Liebe und ſein Willen fuͤr
uns zeigten ſich graͤnzenlos. Beſonders mir galt ſeine
Zuneigung und Aufmunterung. Er tadelte mich heftig,
daß ich der Medizin entſagen wolle, er pries die goͤtt¬
liche Heilkunſt als den erhabenſten Beruf, er ſtellte ſie
in das hellſte poetiſche Licht, und verſetzte ſie aus dem
duͤrftigen Boden, auf welchem ich ſie nur kannte, in
Mitte alles Ideenreichthums der Naturphiloſophie, die
mir durch ihn zuerſt aufging, als auf ihr wahres Ge¬
biet, wo ſie als Koͤnigin ſchalte. Mit der Poeſie ließ
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/76>, abgerufen am 23.11.2024.
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