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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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nissen der Wissenschaft und der Religion anschmiegen,
diese zu jenen einkehren zu sehen. Auf beiden Seiten
bleibt das Wesen dabei unverändert, und die Verbin¬
dung ist nur in der persönlichen Begabung, ohne auf
die Sachen selbst überzugehen.

An solchen glücklichen Talenten hat es niemals ge¬
fehlt, und wie im Alterthum die philosophische, so ist
in neuerer Zeit die religiöse Wahrheit öfters in schönem
Kunstgebilde aufgetreten. Sehen wir jedoch näher an,
was besonders die spätere Zeit bisher in dieser Richtung
geleistet hat, so fällt uns sehr auf, daß der eben be¬
zeichnete Verein sich im protestantischen Bereiche noch
selten, und im Ganzen auf einer minderen Stufe zeigt,
als im katholischen. Eine kleine Auswahl von geistli¬
chen Liedern, und eine vielleicht nicht stärkere von Pre¬
digten, abgerechnet, steht die dichterische und rednerische
Bildung in jenem Gebiete sehr zurück, und auch das
Beste davon dürfte schwerlich die Lieder eines Spee
und Angelus oder die Reden eines Bossuet und Mas¬
sillon übertreffen. Der Messias von Klopstock ist bei
großen Schönheiten des Einzelnen im Ganzen ein ver¬
fehltes Werk. Von andern poetischen Gestaltungen der
Frömmigkeit läßt sich auch das Einzelne nicht rühmen.
Spätere Schriften über Religion, mit großem Anspruch
an theoretisches Verdienst abgefaßt, tragen grade dessen
Mangel zur Schau, und christliche Gegenstände pla¬

II. 27

niſſen der Wiſſenſchaft und der Religion anſchmiegen,
dieſe zu jenen einkehren zu ſehen. Auf beiden Seiten
bleibt das Weſen dabei unveraͤndert, und die Verbin¬
dung iſt nur in der perſoͤnlichen Begabung, ohne auf
die Sachen ſelbſt uͤberzugehen.

An ſolchen gluͤcklichen Talenten hat es niemals ge¬
fehlt, und wie im Alterthum die philoſophiſche, ſo iſt
in neuerer Zeit die religioͤſe Wahrheit oͤfters in ſchoͤnem
Kunſtgebilde aufgetreten. Sehen wir jedoch naͤher an,
was beſonders die ſpaͤtere Zeit bisher in dieſer Richtung
geleiſtet hat, ſo faͤllt uns ſehr auf, daß der eben be¬
zeichnete Verein ſich im proteſtantiſchen Bereiche noch
ſelten, und im Ganzen auf einer minderen Stufe zeigt,
als im katholiſchen. Eine kleine Auswahl von geiſtli¬
chen Liedern, und eine vielleicht nicht ſtaͤrkere von Pre¬
digten, abgerechnet, ſteht die dichteriſche und redneriſche
Bildung in jenem Gebiete ſehr zuruͤck, und auch das
Beſte davon duͤrfte ſchwerlich die Lieder eines Spee
und Angelus oder die Reden eines Boſſuet und Maſ¬
ſillon uͤbertreffen. Der Meſſias von Klopſtock iſt bei
großen Schoͤnheiten des Einzelnen im Ganzen ein ver¬
fehltes Werk. Von andern poetiſchen Geſtaltungen der
Froͤmmigkeit laͤßt ſich auch das Einzelne nicht ruͤhmen.
Spaͤtere Schriften uͤber Religion, mit großem Anſpruch
an theoretiſches Verdienſt abgefaßt, tragen grade deſſen
Mangel zur Schau, und chriſtliche Gegenſtaͤnde pla¬

II. 27
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[417/0431] niſſen der Wiſſenſchaft und der Religion anſchmiegen, dieſe zu jenen einkehren zu ſehen. Auf beiden Seiten bleibt das Weſen dabei unveraͤndert, und die Verbin¬ dung iſt nur in der perſoͤnlichen Begabung, ohne auf die Sachen ſelbſt uͤberzugehen. An ſolchen gluͤcklichen Talenten hat es niemals ge¬ fehlt, und wie im Alterthum die philoſophiſche, ſo iſt in neuerer Zeit die religioͤſe Wahrheit oͤfters in ſchoͤnem Kunſtgebilde aufgetreten. Sehen wir jedoch naͤher an, was beſonders die ſpaͤtere Zeit bisher in dieſer Richtung geleiſtet hat, ſo faͤllt uns ſehr auf, daß der eben be¬ zeichnete Verein ſich im proteſtantiſchen Bereiche noch ſelten, und im Ganzen auf einer minderen Stufe zeigt, als im katholiſchen. Eine kleine Auswahl von geiſtli¬ chen Liedern, und eine vielleicht nicht ſtaͤrkere von Pre¬ digten, abgerechnet, ſteht die dichteriſche und redneriſche Bildung in jenem Gebiete ſehr zuruͤck, und auch das Beſte davon duͤrfte ſchwerlich die Lieder eines Spee und Angelus oder die Reden eines Boſſuet und Maſ¬ ſillon uͤbertreffen. Der Meſſias von Klopſtock iſt bei großen Schoͤnheiten des Einzelnen im Ganzen ein ver¬ fehltes Werk. Von andern poetiſchen Geſtaltungen der Froͤmmigkeit laͤßt ſich auch das Einzelne nicht ruͤhmen. Spaͤtere Schriften uͤber Religion, mit großem Anſpruch an theoretiſches Verdienſt abgefaßt, tragen grade deſſen Mangel zur Schau, und chriſtliche Gegenſtaͤnde pla¬ II. 27

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/431>, abgerufen am 22.11.2024.