Eigenthümliches zeigt, sondern fast nur ein gewöhnliches Mitmachen dessen, was die Verhältnisse des Tages dem Tage auswerfen. Dabei können wir große Gesinnun¬ gen und tiefe Gedanken allenfalls missen, aber irgend eine Feinheit der Beobachtung, irgend eine Anmuth des Beschreibens haben wir dafür von dem gebildeten Welt¬ mann zu fordern, es müßte denn sein, daß er uns an deren Statt das noch seltnere Geschenk einer im ver¬ feinertsten Lebenselement bewahrten Unbefangenheit des Sinnes und Naivetät des Ausdrucks brächte! Von dem allen aber ist hier nichts. Unser Graf von Schlitz geht durch seine Bahn, wie ein Handwerksgesell durch die seine, er läßt das Meiste dahingestellt, oder vorausge¬ setzt, und bemerkt nur das nothdürftigste Nächste. Dies letztere bei den Handwerksgesellen kennen zu lernen, hat noch seinen Reiz, eben weil es uns nicht so nahe liegt, und etwas Eigenes sich darin abspiegeln kann, aber bei dem Grafen ist es nur das gleichgültige Alltägliche, dem erst ein Interesse durch besondre Ereignisse oder durch geistige Verarbeitung herzukommen müßte. In Frank¬ reich würde der Verfasser selbst, oder auch ein Freund, ein Gehülfe, der Herausgeber, ja nöthigenfalls der Buchhändler sogar, diese Materialien, welche doch ein¬ mal eine gute Grundlage bilden, mit einigen Händen voll Salz bestreut haben, und es wären höchst genie߬ bare Memoiren geworden; bei uns sind sie in ihrer ungewürzten Bereitung aufgetischt, und sie schmecken
Eigenthuͤmliches zeigt, ſondern faſt nur ein gewoͤhnliches Mitmachen deſſen, was die Verhaͤltniſſe des Tages dem Tage auswerfen. Dabei koͤnnen wir große Geſinnun¬ gen und tiefe Gedanken allenfalls miſſen, aber irgend eine Feinheit der Beobachtung, irgend eine Anmuth des Beſchreibens haben wir dafuͤr von dem gebildeten Welt¬ mann zu fordern, es muͤßte denn ſein, daß er uns an deren Statt das noch ſeltnere Geſchenk einer im ver¬ feinertſten Lebenselement bewahrten Unbefangenheit des Sinnes und Naivetaͤt des Ausdrucks braͤchte! Von dem allen aber iſt hier nichts. Unſer Graf von Schlitz geht durch ſeine Bahn, wie ein Handwerksgeſell durch die ſeine, er laͤßt das Meiſte dahingeſtellt, oder vorausge¬ ſetzt, und bemerkt nur das nothduͤrftigſte Naͤchſte. Dies letztere bei den Handwerksgeſellen kennen zu lernen, hat noch ſeinen Reiz, eben weil es uns nicht ſo nahe liegt, und etwas Eigenes ſich darin abſpiegeln kann, aber bei dem Grafen iſt es nur das gleichguͤltige Alltaͤgliche, dem erſt ein Intereſſe durch beſondre Ereigniſſe oder durch geiſtige Verarbeitung herzukommen muͤßte. In Frank¬ reich wuͤrde der Verfaſſer ſelbſt, oder auch ein Freund, ein Gehuͤlfe, der Herausgeber, ja noͤthigenfalls der Buchhaͤndler ſogar, dieſe Materialien, welche doch ein¬ mal eine gute Grundlage bilden, mit einigen Haͤnden voll Salz beſtreut haben, und es waͤren hoͤchſt genie߬ bare Memoiren geworden; bei uns ſind ſie in ihrer ungewuͤrzten Bereitung aufgetiſcht, und ſie ſchmecken
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Eigenthuͤmliches zeigt, ſondern faſt nur ein gewoͤhnliches
Mitmachen deſſen, was die Verhaͤltniſſe des Tages dem
Tage auswerfen. Dabei koͤnnen wir große Geſinnun¬
gen und tiefe Gedanken allenfalls miſſen, aber irgend
eine Feinheit der Beobachtung, irgend eine Anmuth des
Beſchreibens haben wir dafuͤr von dem gebildeten Welt¬
mann zu fordern, es muͤßte denn ſein, daß er uns an
deren Statt das noch ſeltnere Geſchenk einer im ver¬
feinertſten Lebenselement bewahrten Unbefangenheit des
Sinnes und Naivetaͤt des Ausdrucks braͤchte! Von dem
allen aber iſt hier nichts. Unſer Graf von Schlitz geht
durch ſeine Bahn, wie ein Handwerksgeſell durch die
ſeine, er laͤßt das Meiſte dahingeſtellt, oder vorausge¬
ſetzt, und bemerkt nur das nothduͤrftigſte Naͤchſte. Dies
letztere bei den Handwerksgeſellen kennen zu lernen, hat
noch ſeinen Reiz, eben weil es uns nicht ſo nahe liegt,
und etwas Eigenes ſich darin abſpiegeln kann, aber bei
dem Grafen iſt es nur das gleichguͤltige Alltaͤgliche, dem
erſt ein Intereſſe durch beſondre Ereigniſſe oder durch
geiſtige Verarbeitung herzukommen muͤßte. In Frank¬
reich wuͤrde der Verfaſſer ſelbſt, oder auch ein Freund,
ein Gehuͤlfe, der Herausgeber, ja noͤthigenfalls der
Buchhaͤndler ſogar, dieſe Materialien, welche doch ein¬
mal eine gute Grundlage bilden, mit einigen Haͤnden
voll Salz beſtreut haben, und es waͤren hoͤchſt genie߬
bare Memoiren geworden; bei uns ſind ſie in ihrer
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/407>, abgerufen am 23.11.2024.
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