Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

ohne daß weder ich selbst noch die Andern sich weiter
dabei aufhielten.

Wie eilten weiter zu kommen, voll Sorgen und
Unruhe, daß wir etwas Bedeutendes versäumen könnten,
da schon die bis dahin dauernde Waffenstille ein Wunder
dünkte, dessen Fortsetzung mit jedem Tage sich weniger
glauben ließ. Für Marwitz war noch ein besonderer
Grund der Eile; ein jüngerer Bruder von ihm war
schon früher in des österreichische Heer getreten, bei
Aspern verwundet und darauf nach Nikolsburg gebracht
worden, wo er schwer danieder lag. Wir fanden ihn
in einem üblen, fast hoffnungslosen Zustande. Ihm
war aufgetragen worden, mit einer kleinen Schaar gegen
feindliches Geschütz anzusprengen, damit dessen Aufstellung
und Stärke durch das Abfeuern kund würde; dieser
Zweck wurde erreicht, dem edlen Jüngling aber dabei
durch eine Kartätschenkugel der Oberschenkel zerschmettert,
und kaum hatten die Seinigen ihn vor den Mündungen
der feindlichen Kanonen noch aufraffen und zurückbringen
können. Den Bruder, so weit von der Heimath in
diesem Jammer, und so mancher Hülfe und Pflege
doch entbehrend, wiederzusehen, war ein großer Schmerz,
der dadurch noch vermehrt wurde, daß dieses Wieder¬
sehen nicht einmal dauernd, sondern nur auf kurze Zeit
beschränkt sein konnte. Das Beispiel eines solchen trau¬
rigen Voranganges mußte den Eifer der beschlossenen
Nachfolge noch anspornen und befestigen; man fühlt sich

ohne daß weder ich ſelbſt noch die Andern ſich weiter
dabei aufhielten.

Wie eilten weiter zu kommen, voll Sorgen und
Unruhe, daß wir etwas Bedeutendes verſaͤumen koͤnnten,
da ſchon die bis dahin dauernde Waffenſtille ein Wunder
duͤnkte, deſſen Fortſetzung mit jedem Tage ſich weniger
glauben ließ. Fuͤr Marwitz war noch ein beſonderer
Grund der Eile; ein juͤngerer Bruder von ihm war
ſchon fruͤher in des oͤſterreichiſche Heer getreten, bei
Aſpern verwundet und darauf nach Nikolsburg gebracht
worden, wo er ſchwer danieder lag. Wir fanden ihn
in einem uͤblen, faſt hoffnungsloſen Zuſtande. Ihm
war aufgetragen worden, mit einer kleinen Schaar gegen
feindliches Geſchuͤtz anzuſprengen, damit deſſen Aufſtellung
und Staͤrke durch das Abfeuern kund wuͤrde; dieſer
Zweck wurde erreicht, dem edlen Juͤngling aber dabei
durch eine Kartaͤtſchenkugel der Oberſchenkel zerſchmettert,
und kaum hatten die Seinigen ihn vor den Muͤndungen
der feindlichen Kanonen noch aufraffen und zuruͤckbringen
koͤnnen. Den Bruder, ſo weit von der Heimath in
dieſem Jammer, und ſo mancher Huͤlfe und Pflege
doch entbehrend, wiederzuſehen, war ein großer Schmerz,
der dadurch noch vermehrt wurde, daß dieſes Wieder¬
ſehen nicht einmal dauernd, ſondern nur auf kurze Zeit
beſchraͤnkt ſein konnte. Das Beiſpiel eines ſolchen trau¬
rigen Voranganges mußte den Eifer der beſchloſſenen
Nachfolge noch anſpornen und befeſtigen; man fuͤhlt ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="183"/>
ohne daß weder ich &#x017F;elb&#x017F;t noch die Andern &#x017F;ich weiter<lb/>
dabei aufhielten.</p><lb/>
          <p>Wie eilten weiter zu kommen, voll Sorgen und<lb/>
Unruhe, daß wir etwas Bedeutendes ver&#x017F;a&#x0364;umen ko&#x0364;nnten,<lb/>
da &#x017F;chon die bis dahin dauernde Waffen&#x017F;tille ein Wunder<lb/>
du&#x0364;nkte, de&#x017F;&#x017F;en Fort&#x017F;etzung mit jedem Tage &#x017F;ich weniger<lb/>
glauben ließ. Fu&#x0364;r Marwitz war noch ein be&#x017F;onderer<lb/>
Grund der Eile; ein ju&#x0364;ngerer Bruder von ihm war<lb/>
&#x017F;chon fru&#x0364;her in des o&#x0364;&#x017F;terreichi&#x017F;che Heer getreten, bei<lb/>
A&#x017F;pern verwundet und darauf nach Nikolsburg gebracht<lb/>
worden, wo er &#x017F;chwer danieder lag. Wir fanden ihn<lb/>
in einem u&#x0364;blen, fa&#x017F;t hoffnungslo&#x017F;en Zu&#x017F;tande. Ihm<lb/>
war aufgetragen worden, mit einer kleinen Schaar gegen<lb/>
feindliches Ge&#x017F;chu&#x0364;tz anzu&#x017F;prengen, damit de&#x017F;&#x017F;en Auf&#x017F;tellung<lb/>
und Sta&#x0364;rke durch das Abfeuern kund wu&#x0364;rde; die&#x017F;er<lb/>
Zweck wurde erreicht, dem edlen Ju&#x0364;ngling aber dabei<lb/>
durch eine Karta&#x0364;t&#x017F;chenkugel der Ober&#x017F;chenkel zer&#x017F;chmettert,<lb/>
und kaum hatten die Seinigen ihn vor den Mu&#x0364;ndungen<lb/>
der feindlichen Kanonen noch aufraffen und zuru&#x0364;ckbringen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Den Bruder, &#x017F;o weit von der Heimath in<lb/>
die&#x017F;em Jammer, und &#x017F;o mancher Hu&#x0364;lfe und Pflege<lb/>
doch entbehrend, wiederzu&#x017F;ehen, war ein großer Schmerz,<lb/>
der dadurch noch vermehrt wurde, daß die&#x017F;es Wieder¬<lb/>
&#x017F;ehen nicht einmal dauernd, &#x017F;ondern nur auf kurze Zeit<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ein konnte. Das Bei&#x017F;piel eines &#x017F;olchen trau¬<lb/>
rigen Voranganges mußte den Eifer der be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Nachfolge noch an&#x017F;pornen und befe&#x017F;tigen; man fu&#x0364;hlt &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0197] ohne daß weder ich ſelbſt noch die Andern ſich weiter dabei aufhielten. Wie eilten weiter zu kommen, voll Sorgen und Unruhe, daß wir etwas Bedeutendes verſaͤumen koͤnnten, da ſchon die bis dahin dauernde Waffenſtille ein Wunder duͤnkte, deſſen Fortſetzung mit jedem Tage ſich weniger glauben ließ. Fuͤr Marwitz war noch ein beſonderer Grund der Eile; ein juͤngerer Bruder von ihm war ſchon fruͤher in des oͤſterreichiſche Heer getreten, bei Aſpern verwundet und darauf nach Nikolsburg gebracht worden, wo er ſchwer danieder lag. Wir fanden ihn in einem uͤblen, faſt hoffnungsloſen Zuſtande. Ihm war aufgetragen worden, mit einer kleinen Schaar gegen feindliches Geſchuͤtz anzuſprengen, damit deſſen Aufſtellung und Staͤrke durch das Abfeuern kund wuͤrde; dieſer Zweck wurde erreicht, dem edlen Juͤngling aber dabei durch eine Kartaͤtſchenkugel der Oberſchenkel zerſchmettert, und kaum hatten die Seinigen ihn vor den Muͤndungen der feindlichen Kanonen noch aufraffen und zuruͤckbringen koͤnnen. Den Bruder, ſo weit von der Heimath in dieſem Jammer, und ſo mancher Huͤlfe und Pflege doch entbehrend, wiederzuſehen, war ein großer Schmerz, der dadurch noch vermehrt wurde, daß dieſes Wieder¬ ſehen nicht einmal dauernd, ſondern nur auf kurze Zeit beſchraͤnkt ſein konnte. Das Beiſpiel eines ſolchen trau¬ rigen Voranganges mußte den Eifer der beſchloſſenen Nachfolge noch anſpornen und befeſtigen; man fuͤhlt ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/197
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/197>, abgerufen am 28.04.2024.