Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

ehe die beiden Schlegel und ihre Anhänger, schon be¬
rührt und ergriffen von jenem Kultus, diese Richtung
in der Litteratur festzustellen unternahmen. Gedenkens¬
werth erscheint es, daß, während diese Männer ihre
Anbetung doch nicht ohne einige Absicht auf Ertrag
und Lohn ausübten, Rahel ihrerseits dabei mit völligem
Selbstvergessen verfuhr; sie hatte Goethe'n im Karls¬
bade persönlich kennen gelernt, und er mit Aufmerk¬
samkeit und Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch
noch späterhin desselben mit Hochschätzung gedacht, ohne
daß sie im geringsten eine Verbindung festgehalten,
einen Briefwechsel veranlaßt hätte, im Gegentheil, sie
erwähnte wenig der Person, desto beeiferter aber des
Genius, und nicht die zufällige Bekanntschaft, sondern
die wesentliche, die das Lesen seiner Schriften gab,
genoß und zeigte sie mit Stolz und Freude. Spät
erst entdeckte ich unvermuthet in alten Briefen die aus
Goethe's Mund vernommenen für Rahel rühmlichen
Aeußerungen, welche ihr von Freunden berichtet, von
ihr selbst aber vergessen waren. In der Philosophie
stand ihr gleicherweise der edle Fichte voran, für dessen
Geisteskarakter sie stets in gleicher Verehrung blieb,
wenn auch sein Geistesgehalt bei weitem nicht alles
abschloß, was ihr Gedankenflug forderte oder gestalten
mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher,
ja selbst Schelling und Steffens, waren ihr theils per¬
sönlich, theils den Schriften nach bekannt und werth.

ehe die beiden Schlegel und ihre Anhaͤnger, ſchon be¬
ruͤhrt und ergriffen von jenem Kultus, dieſe Richtung
in der Litteratur feſtzuſtellen unternahmen. Gedenkens¬
werth erſcheint es, daß, waͤhrend dieſe Maͤnner ihre
Anbetung doch nicht ohne einige Abſicht auf Ertrag
und Lohn ausuͤbten, Rahel ihrerſeits dabei mit voͤlligem
Selbſtvergeſſen verfuhr; ſie hatte Goethe’n im Karls¬
bade perſoͤnlich kennen gelernt, und er mit Aufmerk¬
ſamkeit und Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch
noch ſpaͤterhin deſſelben mit Hochſchaͤtzung gedacht, ohne
daß ſie im geringſten eine Verbindung feſtgehalten,
einen Briefwechſel veranlaßt haͤtte, im Gegentheil, ſie
erwaͤhnte wenig der Perſon, deſto beeiferter aber des
Genius, und nicht die zufaͤllige Bekanntſchaft, ſondern
die weſentliche, die das Leſen ſeiner Schriften gab,
genoß und zeigte ſie mit Stolz und Freude. Spaͤt
erſt entdeckte ich unvermuthet in alten Briefen die aus
Goethe’s Mund vernommenen fuͤr Rahel ruͤhmlichen
Aeußerungen, welche ihr von Freunden berichtet, von
ihr ſelbſt aber vergeſſen waren. In der Philoſophie
ſtand ihr gleicherweiſe der edle Fichte voran, fuͤr deſſen
Geiſteskarakter ſie ſtets in gleicher Verehrung blieb,
wenn auch ſein Geiſtesgehalt bei weitem nicht alles
abſchloß, was ihr Gedankenflug forderte oder geſtalten
mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher,
ja ſelbſt Schelling und Steffens, waren ihr theils per¬
ſoͤnlich, theils den Schriften nach bekannt und werth.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="170"/>
ehe die beiden Schlegel und ihre Anha&#x0364;nger, &#x017F;chon be¬<lb/>
ru&#x0364;hrt und ergriffen von jenem Kultus, die&#x017F;e Richtung<lb/>
in der Litteratur fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen unternahmen. Gedenkens¬<lb/>
werth er&#x017F;cheint es, daß, wa&#x0364;hrend die&#x017F;e Ma&#x0364;nner ihre<lb/>
Anbetung doch nicht ohne einige Ab&#x017F;icht auf Ertrag<lb/>
und Lohn ausu&#x0364;bten, Rahel ihrer&#x017F;eits dabei mit vo&#x0364;lligem<lb/>
Selb&#x017F;tverge&#x017F;&#x017F;en verfuhr; &#x017F;ie hatte Goethe&#x2019;n im Karls¬<lb/>
bade per&#x017F;o&#x0364;nlich kennen gelernt, und er mit Aufmerk¬<lb/>
&#x017F;amkeit und Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch<lb/>
noch &#x017F;pa&#x0364;terhin de&#x017F;&#x017F;elben mit Hoch&#x017F;cha&#x0364;tzung gedacht, ohne<lb/>
daß &#x017F;ie im gering&#x017F;ten eine Verbindung fe&#x017F;tgehalten,<lb/>
einen Briefwech&#x017F;el veranlaßt ha&#x0364;tte, im Gegentheil, &#x017F;ie<lb/>
erwa&#x0364;hnte wenig der Per&#x017F;on, de&#x017F;to beeiferter aber des<lb/>
Genius, und nicht die zufa&#x0364;llige Bekannt&#x017F;chaft, &#x017F;ondern<lb/>
die we&#x017F;entliche, die das Le&#x017F;en &#x017F;einer Schriften gab,<lb/>
genoß und zeigte &#x017F;ie mit Stolz und Freude. Spa&#x0364;t<lb/>
er&#x017F;t entdeckte ich unvermuthet in alten Briefen die aus<lb/>
Goethe&#x2019;s Mund vernommenen fu&#x0364;r Rahel ru&#x0364;hmlichen<lb/>
Aeußerungen, welche ihr von Freunden berichtet, von<lb/>
ihr &#x017F;elb&#x017F;t aber verge&#x017F;&#x017F;en waren. In der Philo&#x017F;ophie<lb/>
&#x017F;tand ihr gleicherwei&#x017F;e der edle Fichte voran, fu&#x0364;r de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Gei&#x017F;teskarakter &#x017F;ie &#x017F;tets in gleicher Verehrung blieb,<lb/>
wenn auch &#x017F;ein Gei&#x017F;tesgehalt bei weitem nicht alles<lb/>
ab&#x017F;chloß, was ihr Gedankenflug forderte oder ge&#x017F;talten<lb/>
mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher,<lb/>
ja &#x017F;elb&#x017F;t Schelling und Steffens, waren ihr theils per¬<lb/>
&#x017F;o&#x0364;nlich, theils den Schriften nach bekannt und werth.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0184] ehe die beiden Schlegel und ihre Anhaͤnger, ſchon be¬ ruͤhrt und ergriffen von jenem Kultus, dieſe Richtung in der Litteratur feſtzuſtellen unternahmen. Gedenkens¬ werth erſcheint es, daß, waͤhrend dieſe Maͤnner ihre Anbetung doch nicht ohne einige Abſicht auf Ertrag und Lohn ausuͤbten, Rahel ihrerſeits dabei mit voͤlligem Selbſtvergeſſen verfuhr; ſie hatte Goethe’n im Karls¬ bade perſoͤnlich kennen gelernt, und er mit Aufmerk¬ ſamkeit und Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch noch ſpaͤterhin deſſelben mit Hochſchaͤtzung gedacht, ohne daß ſie im geringſten eine Verbindung feſtgehalten, einen Briefwechſel veranlaßt haͤtte, im Gegentheil, ſie erwaͤhnte wenig der Perſon, deſto beeiferter aber des Genius, und nicht die zufaͤllige Bekanntſchaft, ſondern die weſentliche, die das Leſen ſeiner Schriften gab, genoß und zeigte ſie mit Stolz und Freude. Spaͤt erſt entdeckte ich unvermuthet in alten Briefen die aus Goethe’s Mund vernommenen fuͤr Rahel ruͤhmlichen Aeußerungen, welche ihr von Freunden berichtet, von ihr ſelbſt aber vergeſſen waren. In der Philoſophie ſtand ihr gleicherweiſe der edle Fichte voran, fuͤr deſſen Geiſteskarakter ſie ſtets in gleicher Verehrung blieb, wenn auch ſein Geiſtesgehalt bei weitem nicht alles abſchloß, was ihr Gedankenflug forderte oder geſtalten mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher, ja ſelbſt Schelling und Steffens, waren ihr theils per¬ ſoͤnlich, theils den Schriften nach bekannt und werth.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/184
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/184>, abgerufen am 28.04.2024.