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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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bewegten sich beiderseits in bezugvoller Uebereinstim¬
mung. Schon sehr früh, weit früher, als irgend eine
litterarische Meinung der Art sich gebildet hatte, war
Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von
der Macht seines Genius eingenommen und bezaubert
worden, hatte ihn über jede Vergleichung hinausgestellt,
ihn für den höchsten, den einzigen Dichter erklärt, ihn
als ihren Gewährsmann und Bestätiger in allen Ein¬
sichten und Urtheilen des Lebens enthusiastisch ange¬
priesen. Jetzt erscheint das sehr leicht und natürlich,
und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬
neinen, denn sogar im Bemühen sie einzuschränken
giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der
künftige Heros noch in der Menge der Schriftsteller
mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit
voranstanden, wo die Nation über den Gehalt und
sogar über die Form der geistigen Erzeugnisse noch sehr
im Trüben urtheilte, und meist an kleinlichen Neben¬
sachen und äußerlichen Uebereinkommnissen hing, damals
war es kein Geringes, mit gesundem Sinn und Herzen
aus dem Gewirr von Täuschungen und Ueberschätzungen
sogleich das Aechte und Wahre herauszufühlen und mit
freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung
für Goethe war durch Rahel im Kreise ihrer Freunde
längst zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen
Seiten sein leuchtendes, bekräftigendes Wort einge¬
schlagen, sein Name zur höchsten Beglaubigung geweiht,

bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Uebereinſtim¬
mung. Schon ſehr fruͤh, weit fruͤher, als irgend eine
litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war
Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von
der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert
worden, hatte ihn uͤber jede Vergleichung hinausgeſtellt,
ihn fuͤr den hoͤchſten, den einzigen Dichter erklaͤrt, ihn
als ihren Gewaͤhrsmann und Beſtaͤtiger in allen Ein¬
ſichten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch ange¬
prieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natuͤrlich,
und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬
neinen, denn ſogar im Bemuͤhen ſie einzuſchraͤnken
giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der
kuͤnftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller
mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit
voranſtanden, wo die Nation uͤber den Gehalt und
ſogar uͤber die Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr
im Truͤben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Neben¬
ſachen und aͤußerlichen Uebereinkommniſſen hing, damals
war es kein Geringes, mit geſundem Sinn und Herzen
aus dem Gewirr von Taͤuſchungen und Ueberſchaͤtzungen
ſogleich das Aechte und Wahre herauszufuͤhlen und mit
freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung
fuͤr Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde
laͤngſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen
Seiten ſein leuchtendes, bekraͤftigendes Wort einge¬
ſchlagen, ſein Name zur hoͤchſten Beglaubigung geweiht,

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[169/0183] bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Uebereinſtim¬ mung. Schon ſehr fruͤh, weit fruͤher, als irgend eine litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert worden, hatte ihn uͤber jede Vergleichung hinausgeſtellt, ihn fuͤr den hoͤchſten, den einzigen Dichter erklaͤrt, ihn als ihren Gewaͤhrsmann und Beſtaͤtiger in allen Ein¬ ſichten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch ange¬ prieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natuͤrlich, und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬ neinen, denn ſogar im Bemuͤhen ſie einzuſchraͤnken giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der kuͤnftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit voranſtanden, wo die Nation uͤber den Gehalt und ſogar uͤber die Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr im Truͤben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Neben¬ ſachen und aͤußerlichen Uebereinkommniſſen hing, damals war es kein Geringes, mit geſundem Sinn und Herzen aus dem Gewirr von Taͤuſchungen und Ueberſchaͤtzungen ſogleich das Aechte und Wahre herauszufuͤhlen und mit freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung fuͤr Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde laͤngſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen Seiten ſein leuchtendes, bekraͤftigendes Wort einge¬ ſchlagen, ſein Name zur hoͤchſten Beglaubigung geweiht,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/183>, abgerufen am 27.04.2024.