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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf
der Stelle bestimmt und auf immer fest war, daß mir
der außerordentlichste und werthvollste Gegenstand vor
Augen sei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfällige
Gerede der Leute aus den verschiedensten Kreisen und
Standpunkten seit so langer Zeit mir wohl hätte auf¬
bürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre dasselbe an
ihrer Gegenwart sogleich zerschellt; der schlichte, natür¬
liche Empfang, die harmlose Klarheit und das anspruchs¬
lose Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültig¬
keiten fallenden Gesprächs, mußten jede mitgebrachte
Spannung auflösen, und nach und nach erhob sich da¬
gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke selber ange¬
hörte, und schon darin begründet lag, daß jedes Wort,
rein und lauter wie der frische Quell aus dem Felsen,
auch dem Gleichgültigsten einen Reiz des Lebens, einen
Karakter von Wahrheit und Ursprünglichkeit gab, welche
durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche zu Unge¬
wöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf diese Weise
eine neue Atmosphäre, die mich wie Poesie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil dessen, was gemeinhin
so heißt, durch Wirklichkeit anstatt der Täuschung, durch
Aechtheit anstatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht
fehlen, daß unser Gespräch, dem nach allen Seiten so
viele Wege vollkommen vorbereitet waren, sehr bald
auf bedeutendere Dinge überging, und endlich ganz in
Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen

rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf
der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir
der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor
Augen ſei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfaͤllige
Gerede der Leute aus den verſchiedenſten Kreiſen und
Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl haͤtte auf¬
buͤrden moͤgen, hatte ich nicht, auch waͤre daſſelbe an
ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, natuͤr¬
liche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs¬
loſe Wohlbehagen des anfaͤnglich nur auf Gleichguͤltig¬
keiten fallenden Geſpraͤchs, mußten jede mitgebrachte
Spannung aufloͤſen, und nach und nach erhob ſich da¬
gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber ange¬
hoͤrte, und ſchon darin begruͤndet lag, daß jedes Wort,
rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen,
auch dem Gleichguͤltigſten einen Reiz des Lebens, einen
Karakter von Wahrheit und Urſpruͤnglichkeit gab, welche
durch die bloße Beruͤhrung jedes Gewoͤhnliche zu Unge¬
woͤhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe
eine neue Atmoſphaͤre, die mich wie Poeſie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin
ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Taͤuſchung, durch
Aechtheit anſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht
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viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald
auf bedeutendere Dinge uͤberging, und endlich ganz in
Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen

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[159/0173] rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfaͤllige Gerede der Leute aus den verſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl haͤtte auf¬ buͤrden moͤgen, hatte ich nicht, auch waͤre daſſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, natuͤr¬ liche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs¬ loſe Wohlbehagen des anfaͤnglich nur auf Gleichguͤltig¬ keiten fallenden Geſpraͤchs, mußten jede mitgebrachte Spannung aufloͤſen, und nach und nach erhob ſich da¬ gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber ange¬ hoͤrte, und ſchon darin begruͤndet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichguͤltigſten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſpruͤnglichkeit gab, welche durch die bloße Beruͤhrung jedes Gewoͤhnliche zu Unge¬ woͤhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe eine neue Atmoſphaͤre, die mich wie Poeſie anwehte, und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Taͤuſchung, durch Aechtheit anſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer Geſpraͤch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge uͤberging, und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/173>, abgerufen am 27.04.2024.