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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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und Geist in frischem Wechselhauche, überall organisches
Gebild, zuckende Faser, mitlebender Zusammenhang für
die ganze Natur, überall originale und naive Geistes-
und Sinnesäußerungen, großartig durch Unschuld und
durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Hand¬
lungen die rascheste, gewandteste, zutreffendste Gegen¬
wart. Dies alles war durchwärmt von der reinsten
Güte, der schönsten, stets regen und thätigen Menschen¬
liebe, der lebhaftesten Theilnahme für fremdes Wohl
und Weh. Die Vorzüge menschlicher Erscheinung, die
mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier bei¬
sammen, Geist und Witz, Tiefsinn und Wahrheitsliebe,
Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge
von raschen, leisen, graziösen Lebensbewegungen, welche,
gleich Goethe's Worten, ganz dicht an der Sache sich
halten, ja diese selber sind, und mit der ganzen Macht
ihres tiefsten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem
Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die
weibliche Milde und Anmuth hervor, welche besonders
den Augen und dem edlen Munde den lieblichsten Aus¬
druck gab, ohne den starken der gewaltigsten Leidenschaft
und des heftigen Aufwallens zu verhindern.

Ob man sich in dieser Mischung von entgegenstehenden
Gaben und streitigen Elementen, wie ich sie anzudeuten
versucht habe, sogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich
fast. Mir wenigstens war es beschieden, erst vermittelst
mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die

und Geiſt in friſchem Wechſelhauche, uͤberall organiſches
Gebild, zuckende Faſer, mitlebender Zuſammenhang fuͤr
die ganze Natur, uͤberall originale und naive Geiſtes-
und Sinnesaͤußerungen, großartig durch Unſchuld und
durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Hand¬
lungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte Gegen¬
wart. Dies alles war durchwaͤrmt von der reinſten
Guͤte, der ſchoͤnſten, ſtets regen und thaͤtigen Menſchen¬
liebe, der lebhafteſten Theilnahme fuͤr fremdes Wohl
und Weh. Die Vorzuͤge menſchlicher Erſcheinung, die
mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier bei¬
ſammen, Geiſt und Witz, Tiefſinn und Wahrheitsliebe,
Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge
von raſchen, leiſen, grazioͤſen Lebensbewegungen, welche,
gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an der Sache ſich
halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen Macht
ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem
Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die
weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders
den Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Aus¬
druck gab, ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft
und des heftigen Aufwallens zu verhindern.

Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden
Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten
verſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich
faſt. Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt
mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die

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[158/0172] und Geiſt in friſchem Wechſelhauche, uͤberall organiſches Gebild, zuckende Faſer, mitlebender Zuſammenhang fuͤr die ganze Natur, uͤberall originale und naive Geiſtes- und Sinnesaͤußerungen, großartig durch Unſchuld und durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Hand¬ lungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte Gegen¬ wart. Dies alles war durchwaͤrmt von der reinſten Guͤte, der ſchoͤnſten, ſtets regen und thaͤtigen Menſchen¬ liebe, der lebhafteſten Theilnahme fuͤr fremdes Wohl und Weh. Die Vorzuͤge menſchlicher Erſcheinung, die mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier bei¬ ſammen, Geiſt und Witz, Tiefſinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge von raſchen, leiſen, grazioͤſen Lebensbewegungen, welche, gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an der Sache ſich halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen Macht ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders den Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Aus¬ druck gab, ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft und des heftigen Aufwallens zu verhindern. Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten verſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich faſt. Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/172>, abgerufen am 28.04.2024.