Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

entschuldigte mich, daß ich die Aechtheit dessen, was ich
leider so weit von seinem Ursprunge nach Gunst des Zu¬
falls auffangen müsse, nicht verbürgen könne, und die
Folge meiner artigen Wendung war der Rath, mich lie¬
ber selbst bei der Quelle solcher Aeußerungen einzufinden.
Gleich in den nächsten Tagen machte ich von dieser
Erlaubniß den ersehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals
in der Jägerstraße, der Seehandlung schräg gegenüber,
in Obhut und Fürsorge der trefflichen Mutter, deren
altwürdiges und reichliches Hauswesen den schönsten
geselligen Verhältnissen von jeher offen stand. Zuweilen
hatte ich, um Ludwig Robert zu besuchen, diese Woh¬
nung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und
Gesinnungen, und zu welch andern Geisteseinflüssen,
betrat ich sie jetzt!

In einzelnen Menschen, oder in einer Gemeinsamkeit
zusammengehöriger, und einander sich ergänzender und
übertragender Persönlichkeiten, war mir schon einigemal
das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbe¬
gegniß, ohne mühsames Streben und Verdienst, ohne
Pein der Allmähligkeit, sondern im Schwunge des vollen
Glückes, und gleichsam durch einen Ruck, auf ein erhöhtes
Lebensfeld versetzt zu sehen, wo schon die Luft, die ich
athmete, die Sinneseindrücke, die mir zukamen, das
lebendige Spiel der umgebenden Elemente, mir ein
neues Dasein erschlossen und mich einer neuen Bildung
theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer und

entſchuldigte mich, daß ich die Aechtheit deſſen, was ich
leider ſo weit von ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zu¬
falls auffangen muͤſſe, nicht verbuͤrgen koͤnne, und die
Folge meiner artigen Wendung war der Rath, mich lie¬
ber ſelbſt bei der Quelle ſolcher Aeußerungen einzufinden.
Gleich in den naͤchſten Tagen machte ich von dieſer
Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals
in der Jaͤgerſtraße, der Seehandlung ſchraͤg gegenuͤber,
in Obhut und Fuͤrſorge der trefflichen Mutter, deren
altwuͤrdiges und reichliches Hausweſen den ſchoͤnſten
geſelligen Verhaͤltniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen
hatte ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Woh¬
nung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und
Geſinnungen, und zu welch andern Geiſteseinfluͤſſen,
betrat ich ſie jetzt!

In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit
zuſammengehoͤriger, und einander ſich ergaͤnzender und
uͤbertragender Perſoͤnlichkeiten, war mir ſchon einigemal
das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbe¬
gegniß, ohne muͤhſames Streben und Verdienſt, ohne
Pein der Allmaͤhligkeit, ſondern im Schwunge des vollen
Gluͤckes, und gleichſam durch einen Ruck, auf ein erhoͤhtes
Lebensfeld verſetzt zu ſehen, wo ſchon die Luft, die ich
athmete, die Sinneseindruͤcke, die mir zukamen, das
lebendige Spiel der umgebenden Elemente, mir ein
neues Daſein erſchloſſen und mich einer neuen Bildung
theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="155"/>
ent&#x017F;chuldigte mich, daß ich die Aechtheit de&#x017F;&#x017F;en, was ich<lb/>
leider &#x017F;o weit von &#x017F;einem Ur&#x017F;prunge nach Gun&#x017F;t des Zu¬<lb/>
falls auffangen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, nicht verbu&#x0364;rgen ko&#x0364;nne, und die<lb/>
Folge meiner artigen Wendung war der Rath, mich lie¬<lb/>
ber &#x017F;elb&#x017F;t bei der Quelle &#x017F;olcher Aeußerungen einzufinden.<lb/>
Gleich in den na&#x0364;ch&#x017F;ten Tagen machte ich von die&#x017F;er<lb/>
Erlaubniß den er&#x017F;ehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals<lb/>
in der Ja&#x0364;ger&#x017F;traße, der Seehandlung &#x017F;chra&#x0364;g gegenu&#x0364;ber,<lb/>
in Obhut und Fu&#x0364;r&#x017F;orge der trefflichen Mutter, deren<lb/>
altwu&#x0364;rdiges und reichliches Hauswe&#x017F;en den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
ge&#x017F;elligen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en von jeher offen &#x017F;tand. Zuweilen<lb/>
hatte ich, um Ludwig Robert zu be&#x017F;uchen, die&#x017F;e Woh¬<lb/>
nung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und<lb/>
Ge&#x017F;innungen, und zu welch andern Gei&#x017F;teseinflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
betrat ich &#x017F;ie jetzt!</p><lb/>
          <p>In einzelnen Men&#x017F;chen, oder in einer Gemein&#x017F;amkeit<lb/>
zu&#x017F;ammengeho&#x0364;riger, und einander &#x017F;ich erga&#x0364;nzender und<lb/>
u&#x0364;bertragender Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeiten, war mir &#x017F;chon einigemal<lb/>
das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbe¬<lb/>
gegniß, ohne mu&#x0364;h&#x017F;ames Streben und Verdien&#x017F;t, ohne<lb/>
Pein der Allma&#x0364;hligkeit, &#x017F;ondern im Schwunge des vollen<lb/>
Glu&#x0364;ckes, und gleich&#x017F;am durch einen Ruck, auf ein erho&#x0364;htes<lb/>
Lebensfeld ver&#x017F;etzt zu &#x017F;ehen, wo &#x017F;chon die Luft, die ich<lb/>
athmete, die Sinneseindru&#x0364;cke, die mir zukamen, das<lb/>
lebendige Spiel der umgebenden Elemente, mir ein<lb/>
neues Da&#x017F;ein er&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und mich einer neuen Bildung<lb/>
theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0169] entſchuldigte mich, daß ich die Aechtheit deſſen, was ich leider ſo weit von ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zu¬ falls auffangen muͤſſe, nicht verbuͤrgen koͤnne, und die Folge meiner artigen Wendung war der Rath, mich lie¬ ber ſelbſt bei der Quelle ſolcher Aeußerungen einzufinden. Gleich in den naͤchſten Tagen machte ich von dieſer Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals in der Jaͤgerſtraße, der Seehandlung ſchraͤg gegenuͤber, in Obhut und Fuͤrſorge der trefflichen Mutter, deren altwuͤrdiges und reichliches Hausweſen den ſchoͤnſten geſelligen Verhaͤltniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen hatte ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Woh¬ nung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und Geſinnungen, und zu welch andern Geiſteseinfluͤſſen, betrat ich ſie jetzt! In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit zuſammengehoͤriger, und einander ſich ergaͤnzender und uͤbertragender Perſoͤnlichkeiten, war mir ſchon einigemal das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbe¬ gegniß, ohne muͤhſames Streben und Verdienſt, ohne Pein der Allmaͤhligkeit, ſondern im Schwunge des vollen Gluͤckes, und gleichſam durch einen Ruck, auf ein erhoͤhtes Lebensfeld verſetzt zu ſehen, wo ſchon die Luft, die ich athmete, die Sinneseindruͤcke, die mir zukamen, das lebendige Spiel der umgebenden Elemente, mir ein neues Daſein erſchloſſen und mich einer neuen Bildung theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/169
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/169>, abgerufen am 28.04.2024.