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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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ich mit ihm regelmäßig eintreffen, und ich widmete
ihrer anziehenden Erscheinung die lebhafteste Aufmerk¬
samkeit, wobei doch ein so nah und leicht unter solchen
Umständen sich ereignendes Anknüpfen des Gesprächs
diesmal durch Eigensinn des Zufalls unterbleiben sollte.

1808.

-- In dieser Stimmung, so vorbereitet, so empfäng¬
lich, reif und bedürftig in Geist und Gemüth für neuen
Reiz und neuen Trost, begegnete ich eines Nachmittags
in noch schneeigem Frühlingswetter unter den Linden
Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete
diese an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab
sich, so unbefangen als erwünscht, auch ein Gespräch
mit Rahel selbst. Ich fand mich außerordentlich ange¬
zogen, und bot all meinen Witz auf, um die schöne
Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu lassen; ich wußte
unter andern eines ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen
Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war,
mit Bedeutung so hinzuwerfen, daß darin halb eine
schmeichelhafte Aufmerksamkeit, halb ein neckender Angriff
lag. Sie bemerkte beides, sah mich durchdringend an,
gleichsam mein Unterstehen an mir selber abzumessen,
und erwiederte dann, sie könne es wohl vertragen, daß
man sie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falsch
geschehe; sie hatte in der That einiges in der Aeußerung,
welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich

ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete
ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerk¬
ſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſolchen
Umſtaͤnden ſich ereignendes Anknuͤpfen des Geſpraͤchs
diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.

1808.

— In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfaͤng¬
lich, reif und beduͤrftig in Geiſt und Gemuͤth fuͤr neuen
Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags
in noch ſchneeigem Fruͤhlingswetter unter den Linden
Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete
dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab
ſich, ſo unbefangen als erwuͤnſcht, auch ein Geſpraͤch
mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich ange¬
zogen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchoͤne
Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte
unter andern eines ihrer eigenthuͤmlich ausdrucksvollen
Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war,
mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine
ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein neckender Angriff
lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdringend an,
gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſſen,
und erwiederte dann, ſie koͤnne es wohl vertragen, daß
man ſie citire, aber nicht fuͤglich zugeben, daß es falſch
geſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Aeußerung,
welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich

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[154/0168] ich mit ihm regelmaͤßig eintreffen, und ich widmete ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerk¬ ſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſolchen Umſtaͤnden ſich ereignendes Anknuͤpfen des Geſpraͤchs diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte. 1808. — In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfaͤng¬ lich, reif und beduͤrftig in Geiſt und Gemuͤth fuͤr neuen Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags in noch ſchneeigem Fruͤhlingswetter unter den Linden Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab ſich, ſo unbefangen als erwuͤnſcht, auch ein Geſpraͤch mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich ange¬ zogen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchoͤne Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte unter andern eines ihrer eigenthuͤmlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein neckender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdringend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſſen, und erwiederte dann, ſie koͤnne es wohl vertragen, daß man ſie citire, aber nicht fuͤglich zugeben, daß es falſch geſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Aeußerung, welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/168>, abgerufen am 28.04.2024.